Meine Achtsamkeit zum zweiten Geburtstag
Heute vor zwei Jahren bekam ich vom Leben meine zweite Chance geschenkt. Knapp überlebte ich eine schwere Lungenentzündung. Manchmal muss erst der Schuss vor den Bug passieren, bevor die meisten von uns Dinge ändern und beginnen, ihr eigenes Leben zu leben. Ich nehme mich da nicht aus. Genau genommen ist der 08.04. nicht mein zweiter Geburtstag, sondern der Tag, an dem ich meine zweite Chance erhielt. Die zweite Chance, Achtsamkeit in mein Leben zu lassen und wirklich MEIN Leben zu leben.
Coaching ist möglich – Yippie!
Noch bis vor einem Jahr wusste ich nicht, wie ich Coachings wuppen sollte, was die körperlichen und mentalen Kräfte betrifft. Doch habe ich mich auf Anfragen eingelassen und meistere Coachings und sogar Workshops seitdem. Mit großer Freude und voller Stolz. Und seien wir mal ehrlich: wir alle benötigen Anerkennung für das, was wir tun. Hierbei ein ganz klares: ICH BIN WIEDER DA! Online aufgrund meines Immundefekts, dennoch präsent. Voller Empathie, reich an Erfahrungen und bewaffnet mit hilfreichen, liebevollen Provokationen der verbalen Art 🙂
Yoga und Meditation seit zwei Jahren dabei
Inzwischen ist Yoga ein fester Bestandteil meines Alltags. Wobei ich mehrmals täglich nur 5-10 Minuten am Stück praktiziere. Hin und wieder grüße ich untertags die Sonne, um das stundenlange Am-Schreibtisch-Gesitze zu unterbrechen. Ein prima Tool, das einfach nur mir gehört. Ich stelle mir vor, wie ich das noch als 85-jährige durchziehe; mein schlohweißes Haar mit einem knallroten Tuch zurückgebunden, in bunter Yoga-Kleidung und nicht, ohne mir vorher die Lippen mit einem extravaganten Lippenstift nachgezogen zu haben.
Shannon Harveys Film und Buch „My one year living mindfully“ hat mich sehr bewegt und motiviert, ACHTSAMKEIT zu einem täglichen Bestandteil meines Lebens zu machen. Ja klar, ich spreche auch von Meditation. Doch nicht nur. ACHTSAMKEIT ist der generelle Umgang mit sich selbst, mit den Mitmenschen, mit dem, was wir über uns selbst und andere denken und wie wir mit unserem Leben umgehen. Bis zur Meisterin werden viele Jahre vergehen. Inzwischen erkenne ich meine weniger achtsamen Momente sehr genau und kann hier ansetzen. Auch meine Meditationsübungen praktiziere ich, seit ich diesen Film sah, täglich. Sie helfen mir, fokussierter den Tag zu beginnen, gelassener mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen als zuvor und sinnlosen Alltagsbanalitäten nicht mehr den Platz einzuräumen, der vorher eingenommen und besetzt wurde. Welche positiven Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität die beschriebene Mindfulness hat, ist wissenschaftlich belegt. So hoffe ich, auch meine Gesundheit damit positiv zu beeinflussen. Um eines Tages wieder normale Bergwandertouren zu gehen, regelmäßig Sport zu treiben und anschließend noch den Tag zu er-LEBEN. Um Kraft für all meine Vorhaben zu gewinnen und diese umzusetzen.
Heute ist Tag 307 meiner kontinuierlichen Achtsamkeits- und Meditationspraxis. Mögen noch viele, viele folgen!
Kondition hält noch Winterschlaf
Nach wie vor ist meine Kondition nicht zurück. Voller Zuversicht und Euphorie starte ich jeden Morgen in den Tag, um spätestens um 14 Uhr zu merken: O.K., für heute reicht es. Trainiere ich gezielt und setze Ausdauer-Trainingseinheiten um (ich rede hier von 20 Minuten am Stück, nicht vom Halbmarathon), bedeutet es, dass anschließend an diesem Tag nichts mehr geht. Möchte ich also die frische Morgenluft bei einer Walkingeinheit genießen, ist das nur an einem freien Tag umsetzbar, an welchem im Anschluss keine weiteren To-dos – egal welcher Art – auf mich warten. Selbst die wirklich tollen, hilfreichen 1,5-stündigen online Yoga-Kurse mit Anfängerniveau ziehe ich nicht voll durch. Trotz vieler Pausen dabei kann ich nach diesen Yoga-Kursen nicht mal mehr ganze Sätze formulieren.
Konditionsmangel – ausgebremst bei voller Fahrt voraus
In meiner Vorstellung laufe ich leichtfüßig durch wundervolle, frische Waldluft oder steige aufrecht die letzten Schritte bis zum Gipfel eines Berges hinauf oder spüre, wie das Wasser links und rechts an mir vorbeigleitet, während ich mit ruhigen Zügen so wie früher meine Schwimmbahnen ziehe. Starte ich also voller Enthusiasmus in mein eigentliches Konditionstraining, bekomme ich sehr leicht die Grenzen aufgezeigt. Ganz gefährlich wird es, wenn ich dabei Musik höre und mein aufgestauter Bewegungsdrang mich geradezu ausflippen lässt. Dann verfalle ich für einige Minuten in leichtes Jogging statt achtsam und kontinuierlich nur zu walken. Mit dem Ergebnis, dass ich es gerade so unter die Dusche und anschließend aufs Sofa schaffe. Spätestens am Abend haben mich Halsschmerzen und Nasennebenhöhlenprobleme eingeholt. Mein Immunsystem ist überfordert durch mein plötzliches ‚von-null-auf-hundertachtzig-Getriebene‘. Diese Erlebnisse ziehen mich runter und es fällt immer schwerer, mich aus diesem Mitleidssumpf selbst am Schlafittchen zu packen, raus zu ziehen und in Bewegung zu bleiben.
Deshalb:
- Bleibt der MP3-Player daheim und unter Verschluss.
- Übe ich mich in Ausdauer, um Ausdauer zu erlangen.
- Übe ich, zuversichtlich zu bleiben, wie es mir meine Großmutter vorlebte.
Leidenschaft in der Warteschleife
Mehr als je zuvor widme ich mich dem Schreiben – etwas, das mir wirklich liegt und worin ich aufgehe. Doch so richtig zum Zuge bin ich (noch) nicht gekommen und meine Projektideen liegen dort, wo sie bereits vor 2 Jahren lagen. In der Ideenschublade. So frage ich mich heute: „Was zum Kuckuck habe ich bitteschön die letzten zwei Jahre getrieben?“. Die Antwort trifft mich mit ganzer Wucht: Ich bin wieder in alte Muster gefallen. Habe mich nach anderen gerichtet und Prioritäten all meiner To-dos im Außen gesetzt statt bei mir selbst. Fazit: Aus alten Mustern auszubrechen, ist leichter gesagt als getan. Gut also, sich selbst regelmäßig zu reflektieren.
Noch ziemlich getroffen, dennoch dankbar für diese Warteschleifen-Erkenntnis, heißt es ab sofort: Meine Ideen und Ziele werden an oberste Stelle gesetzt. Dem von mir bei meinen Coachees gepredigten gesunden Egoismus biete ich ab sofort Gestaltungsfreiraum. Wie viele Chancen, oder anders gesprochen, Schüsse vor den Bug, soll das Leben mir noch geben? Die Erlebnisse des einen genügen voll und ganz.
Dankbar
Um mich und mein Leben zu bangen, war für meinen Mann hart. Anders, doch ebenso herausfordernd ist es, meine Versuche der Veränderung zu begleiten, mein hin und wieder Scheitern aufzufangen und mich zu motivieren, am Ball zu bleiben. Ich bin sehr dankbar für die unglaubliche Geduld, den heilsamen Trost und das liebevolle In-den-Hintern-Treten, das ich durch ihn seitdem erfahren darf. Ebenso wünsche und hoffe ich, dass Du, mein wunderbarer Mann, Deine Bedürfnisse nicht an meine anpasst und meine Langsamkeit nicht auch Deine wird.
Wahre Freunde sind eine unglaubliche Stütze. Hunderte sind es nicht, die zu unserem engsten Kreis gehören. Zwei haben wir gleich ‚dichtebei‘, viele wohnen verstreut übers Land, einige in fernen Ländern. Diese Freundschaften sind unschätzbar wertvoll und nicht in materiellem Reichtum aufzuwiegen.
Ich starte in mein drittes Jahr des neuen Lebens. Trotz mancher Stagnation voller Zuversicht und Tatendrang. Danke fürs zu mir halten, für aufmunternde Worte und verbale Schulterklopfer, fürs Mich-auf-dem-Schirm-Haben, obwohl ich mich gerade jetzt während der Pandemie noch bedeckter halte als vorher, was persönliches Treffen betrifft. Danke also fürs Webcamputzen und Online-Daten – wir sehen uns!
Eure Petra
Beitragsbild: Petra Carlile