
Ja, ich will! Meinen Weg finden. Immer noch.
Inzwischen ist mir mein zweiter Geburtstag wichtiger als mein tatsächlicher. Heute jährt er sich zum sechsten Mal und seine wuchtige Bedeutung kribbelt mir jetzt genauso stark im Magen herum wie vor sechs Jahren.
Das Leben gab mir eine zweite Chance. DIE Chance, das zu tun, was mir am Herzen liegt. Ich wollte sie damals nutzen. Und immer noch treibt mich das an.
Dass ich mich selbst grundlegend anders verhalten muss als vorher, wurde mir schnell klar. Doch war ich zuversichtlich, meinen neuen Weg rasch zu finden und zu gehen. Einen, der jetzt zu mir passt. Und mich trotzdem (oder gerade deshalb) glücklich macht.
Meine zweite Chance – die Film-Version
In einem Rosamunde-Pilcher-Film wäre das für mich so abgelaufen:
Hochdramatische Hintergrundmusik, während der Herzmonitor piept und die Beatmungsmaschine pumpt. Dann: Die Musik ändert sich, wird leichter und lebensfrohe Harfensaiten vibrieren, während ich aus dem Koma erwache. Sonnenstrahlen gleißen durchs Fenster und streicheln mein Gesicht. Das frisch ausschaut dank einer versierten Maskenbildnerin. Nach sechs Tagen und Nächten Beatmung sitzt die Wimperntusche, wie frisch aufgetragen. Na, und die Haare erst!
Entsetzen packt mich, weil ich erfahre, dass ich bei null anfangen muss. Kurz wird die Musik noch mal dramatisch, während ich tränenreich zusammenbreche. Der schicke Lippenstift schimmert auf meinem schmollenden Mund. Da kommt ER, ein tröstender Adonis in blauer Physiotherapeuten-Kleidung, der mir das Laufen wieder beibringen soll. Seine durchtrainierten Arme halten mich, während ich meine Lungenentzündung wegatme und die ersten Gehversuche wage.
SCHNITT Ich hüpfe eine lange Treppe hinauf. Oben stehe ich in Rocky-Balboa-Pose, bevor ich dem Physio-Adonis in die Arme sinke und er mich in den Sonnenuntergang trägt. Unsere Frisuren sitzen.
Die LETZTEN SZENEN vorm Abspann: Ich in meinem Berufsalltag / entspannt ein Video aufnehmend / fröhlich motivierend im Video-Coaching mit einer Klientin / bestätigend meinen gefüllten Terminkalender betrachtend / lächelnd in einer Yoga-Haltung, neben mir eine dampfende Matchatee-Schale. Zum Feierabend hüpfe ich wie Sascha Hehn in mein Cabrio und düse durch die sattgrüne Natur, während mir mein Seidenschal in Zeitlupe entflattert. Kurz halte ich am Straßenrand, weil dort der Physio-Adonis mit einem Strauß roter Rosen steht. Ich lächle. Er lächelt. Und steigt zu mir ins Auto. Gemeinsam fahren wir weiter. Nach wie vor lächelnd, als wären wir dauer-stoned. Der Abspann läuft bereits. Hauptdarsteller: Petra Carlile und Sascha Hehn.
In Wahrheit dauerts länger
Dass ein neunzigminütiger Schnulzi-Film nichts mit der Realität zu tun hat, ist mir klar. Dass ich noch im sechsten Jahr danach nicht dort angekommen bin, wo ich hinwollte, macht mich allerdings fertig.
Ja, vielleicht bin ich ungeduldig. Und ja, mit ner chronischen Erkrankung gehen sich manche Wege nicht besonders leicht, Rückschritte sind vorprogrammiert. Auch Unvorhergesehenes kam dazwischen: Pandemie, Kämpfen ums Medikament. Zudem sind der plötzlich begonnene Krieg in Europa, die immer frostigere Stimmung im politischen Weltgeschehen bei weiter steigender Klimaerwärmung keine Geschehnisse, die energiegeladenen Frohsinn auslösen.
Ich will mich nicht hinter jenen Faktoren verstecken, die ich nicht beeinflussen konnte. Tatsächlich hat vieles nicht so funktioniert, was ich selbst initiierte:
Mein Rückzug ins Online-Business hat seinen Grund, allerdings auch seinen Preis.
Ausschließlich online zu arbeiten hielt mich infektfrei. So konnte ich endlich den Teufelskreis durchbrechen, der bei Immundefektlern der ‚running Schreck‘ bleibt:
Sich bei jemandem anstecken – Antibiotikum – danach Nebenwirkungen bekämpfen – nächster Infekt – wieder Antibiotikum – das dann nicht mehr wirkt… Ich blieb letztes Jahr durchgehend arbeitsfähig, während sich taffe, vor Gesundheit strotzende Immunstarke mindestens zweimal für mehrere Tage ins Bett fallen lassen mussten, um sich auszukurieren.
Allerdings: Keine Präsenz-Workshops mehr zu geben oder nicht an offline Netzwerktreffen teilzunehmen, bedeutet, dass ich in Vergessenheit gerate. Kontakte gehen verlustig, wenn ich mich nicht auf andere Weise bemerkbar mache.
In Sachen Marketing glaubte ich, alles nur genau so umsetzen zu müssen, wie es Unternehmerinnen aus meinem Bekanntenkreis mir rieten und bei mir flutscht es ähnlich gut im Business. Tja, Frau Coachin, da ignorieren wir mal schön, was wir den Klienten mit auf den Weg geben, hm? „Das sind deren Wege, nicht Deine.“
Auch dem ein oder anderen Marketing-Guru ging ich auf den Leim, wenn absolut sichere Marketing-to-dos versprochen wurden: „Nur diese drei Dinge und Du wirst im Monat 10 K Umsatz generieren.“ Wenn mir das nächste Mal jemand manipulierend ins Ohr säuselt, dass ich mit seiner Methode meinen Umsatz auf „das nächste Level hebe“, kotze ich ihm ins Telefon.
Was habe ich schon zu verlieren?
Ich mache mich weiter auf die Suche nach meinem Weg, bleibe hoffnungsfroh, dass sich all die weniger schönen Erfahrungen trotzdem lohnen. Denn fragt mich heute meine zweite Chance, ob ich sie immer noch ergreifen will, lautet meine Antwort nach wie vor: JA, ICH WILL!
Happy Birthday to meeeee, happy birthday to meeeeee …
Eure Petra