Spur aus Steinen

Spur aus Steinen

27. Oktober 2024 Aus Von Petra Carlile

Wo auch immer ich bin, hinterlasse ich sie: Eine Spur aus Steinen. Bei einer Bergtour zum Beispiel, wenn ich mich fix und alle neben das Gipfelkreuz plumpsen lasse. Während mein Blick langsam über Täler und andere Berggipfel streift und der hämmernde Beat meines Pulses einen Moment braucht, leisere Töne anzuschlagen, fingern meine Hände schon am Boden und betasten lose herumlungernde, steinharte Klumpen.
Sofort sehe ich, welche um mich herum sich ähneln und welche farblich scheinbar nicht aus dem gleichen Stein geschnitzt sind. Dann muss ich sie anfassen und etwas mit ihnen tun.

Einander ähnlich muss nicht immer passen

Mache ich mich wieder an den Abstieg, finden sich einige der fingerkuppen- bis handtellergroßen Gebilde in völlig neuer Sortierung wieder. So manches der vielen Steinmännchen auf den Münchner Hausbergen stammt von mir. Aufgetürmt aus Einzelstücken mit ähnlicher Farbe und Form in abgestufter Größe. Bis auf einen. Das schwarze Steinschaf, das sonst keiner mag. Doch, oh Wunder, es passt prima zur Gruppe der anderen und sorgt für ausbalancierte Stabilität im Turm.

Kann auch sein, dass sich eine steinerne Gestalt in die Wurzelmulde eines großen Baumes schmiegt. Wenn ich finde, sie passen zueinander, dann kann ich nicht anders und verkupple sie. Völlig wurscht, wie groß ihr Altersunterschied ist oder dass sie völlig unterschiedlicher Herkunft sind.

Andere sammeln Briefmarken

Meine Steinmacke zeigt sich immer. Egal, ob ich am Ufer der Isar oder am Strand von Nord- und Ostsee entlang spaziere. Findet Ihr auf der Bank, die in einer Düne zum Verweilen einlädt, einen Stein, den kein Sturm dorthin gepustet und ausgespuckt haben kann, dann wisst Ihr Bescheid: Ich war das.

Ab und an schummle ich einen der Steintypen in meine Hosentasche und nehme ihn mit. Dann ist er von außergewöhnlicher Farbe oder Form und ich freue mich ein Loch in den Stein, dass die Natur bei ihrer Steinmetzarbeit ihre kreative Seite rausgekehrt und für mich Kunstvolles geschaffen hat, ohne dass ein Mensch dran herum meißelt.

Harte Steine für sanfte Seele

So zieht sich meine Spur aus Steinen auch durch mein ziviles Leben. Ich mag meine Beetumrandungen aus Feldsteinen im Garten. Die geben mir viel mehr ein Gefühl von Natur als sterile, standardgeformte und auf Hochglanz polierte Granitsteinplatten, geografisch exakte Beetformen und gestochen scharfe Kanten eines mit der Nagelschere getrimmten Golfrasens.

Meine kleinen Hosentaschen-Tramper jedoch liegen auf dem Regal oder im Fensterbrett oder lehnen im Blumentopf. Einer wartet geduldig auf meinem Schreibtisch. Wenn ich einen Handschmeichler benötige, der meine Finger beruhigt, weil sie bis eben schwer auf der Tastatur schuften mussten, ist er zur Stelle.

Bis auf wunderbaren Freunden, die Zaun an Zaun wohnen, habe ich niemandem von meiner Steinmacke erzählt. So manches bizarr schöne Stück im Garten habe ich ihnen zu verdanken. Oft schleppen sie Natur zu mir, wenn ich es kräftemäßig mal nicht auf die Rille bekomme, in die Natur zu gehen.

Geschenke: Nicht gekauft doch wertvoller als Diamanten

Aus den Socken heben mich Stein-Geschenke, die ich von jenen bekomme, die von meiner Zuneigung zu naturgeformten Gebilden nichts wissen. Zufällig gelangen diese Gaben immer dann zu mir, wenn ich gefühlsmäßig neben der Spur bin, mein Inneres lauthals nach Stille schreit oder mir düselig ist von all den Veränderungen und Turbulenzen, die tornadomäßig durch mich durchfegen.

Die schönsten Weihnachtsgeschenke 2022

In dem Jahr hat schreckliche Überlebensangst, geschürt von boshaften Machtspielchen, auch etwas Schönes vollbracht: Eine tiefe Freundschaft und Verbundenheit zwischen drei Frauen; Gisi, Andrea und mir. So weit wir auch voneinander entfernt leben, so sehr konnten wir uns aufeinander verlassen und so genial haben wir zusammen gearbeitet und gekämpft.

Andrea kreierte für jede von uns als Weihnachtsgeschenk ein symbolisches Bild. Als ich meins auspackte, war mein erster Gedanke: „Woher weiß meine liebe Andrea, dass ich auf Steine stehe?“ Erst später, als ich es aus Abstand betrachtete, erkannte ich, dass es nicht drei zufällige Steinfiguren sind, weil sie so gut in den Rahmen passen. Sie symbolisieren viel mehr UNS DREI, in besonders tiefer Freundschaft miteinander verbunden. Da brachen alle Schleusentore in mir und die ganze Last dieses Scheißjahres wurde weggeschwemmt. Und, liebe Gisi, Deine Socken wärmen nicht nur meine Füße, sondern ebenso mein Herz. Weiß ich doch haargenau, warum Du zu Nadeln greifst.

Zum ersten Mal begegnet und gleich so vertraut

Über das inspirierende, mich verbunden fühlende Treffen mit der mir bis dahin unbekannten Freiraumfrau habe ich im Juli in meinem gesonderten Beitrag „Begegnung“ schon erzählt. Als kleines Symbol gemeint, schenkte mir Angelika einen Lochstein, einen Hühnergott. Auch ihr war nicht bekannt, welch große Bedeutung Steine für mich haben. Und trotzdem wusste sie, dass er passend ist.

Freier Fall

Dieses Jahr lässt mich immer wieder mit Karacho in die Tiefe schnellen. Wie bei so einem Freefall-Tower auf Volksfesten oder in Freizeitparks. Zum ersten und letzten mal saß ich in so einem Ding vor mehr als zwanzig Jahren beim Hamburger Weihnachtsdom. Für andere ist die Fahrt damit prickelndes Vergnügen, ich hatte eine Scheißangst um mein Leben und hab noch nie so langanhaltend und dauerhaft geschrien.

So ähnlich verläuft für mich dieses Jahr mein Business. Ich schreie stumm, doch genauso dauerhaft. Jedes Bemühen, mich in Sachen Marketing den aktuellsten, sich ständig ändernden „you-have-to-do“ anzupassen, lässt mich im Senkrechtfall weiter nach unten stürzen. Inzwischen ist der Glaube an mich und mein Können genauso abgestürzt. Ohne Fallschirm. Irgendwie passend, gesellt sich in diesem Jahr hormonelle Karussellfahrt dazu. Ja, gehört zu meinem Alter. Der Zeitpunkt ist trotzdem ungünstig. „Uuuund einsteigen bittttä, wir fahren rückwärts-wärts-wärts…Tröööt!“, hinein in wochenlange Schlaflosigkeit mit langanhaltender Humor-Dürreperiode. Petra ohne Lachen ist wie Catwoman ohne Schwanz.

Schön, dass Du da bist

In diesem Zustand erwischt mich meine Schulfreundin Astrid am Telefon. Statt ausschweifend über alte Zeiten zu plaudern, weiß sie von Berufs wegen genau den richtigen, sanften Dreh, auf gesunde Weise meinen Serotoninspiegel wieder auf Normallevel zu fahren. Nicht im Karussell, sondern kontinuierlich aufwärts. Sie kümmert sich um die Besorgung.

Und mit der prompten Lieferung schenkt sie mir einen kleinen Stein. Dieser ist, ausnahmsweise, von Menschenhand bearbeitet und beschrieben. „Schön, dass Du da bist.“

Schon wieder heule ich.
Sind bestimmt nur die Hormone.

Wünsche Euch einen fröhlich-bunten Herbst!
Eure Petra