Erde an Herrn Bundesgesundheitsminister: SOS!

Erde an Herrn Bundesgesundheitsminister: SOS!

18. September 2022 Aus Von Petra Carlile

Ich war beruhigt, als ich nach unserer letzten Bundestagswahl erfuhr: jemand mit einem humanmedizinischen Hintergrund wird Bundesgesundheitsminister. Es lag auf der Hand, dass dieser Mann Berge zu bewältigen hat, um wirklich akute Probleme in den Griff zu bekommen. Doch dachte ich: wenn einer was bewegt, dann er. Zu seinem Amtsantritt wusste ich nicht, dass ich ihn eines Tages sehr vehement zum Handeln auffordern werde.

Mitte Juni: Zurück aus dem Urlaub – ich will zurück in den Urlaub!

Wieder daheim, empfing mich die Nachricht vom Lieferstopp meines Immunglobulin-Medikaments. Jenes, das mich mit Antikörpern versorgt, um halbwegs durchs Leben zu kommen, ohne an einfachen Infekten lebensbedrohlich zu erkranken. Wird sich bestimmt rasch klären. Dachte ich. Schließlich bin ich, genetisch bedingt, Optimistin.

Mitte Juli: Die Ungeduld wächst

Vier Wochen später hatte sich noch nichts getan. Unser Patientenverein dsai.e.V. appellierte in einer Pressemitteilung an Minister Lauterbach, eine rasche Lösung zu finden, weil durch den Lieferstopp aufgrund des Streits zwischen dem Hersteller Octapharma mit der GKV und den Lieferengpässen all der anderen Hersteller die Lage für ALLE Patient:innen lebensbedrohlich ist.

Unbeachtetes Ehrenabzeichen

Selbst das Wort der Bundesvorsitzenden unseres Vereins, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande, brachte nicht so viel Gewicht auf die Waage, dass der Zeiger im Bundesgesundheitsministerium von „Abwarten“ auf „sofortiges Handeln“ umschlug. Ich musste was tun. Und begann, wie alle Mitarbeitenden des Vereins und jene Mitpatient:innen, denen es (noch) gut ging, selbst Presse und Medien anzuschreiben und abzutelefonieren. Und eigene Kontakte um deren Kontakte zu bitten, damit unsere Situation möglichst rasch, möglichst breit an die Öffentlichkeit getragen wird.

Anfang September: noch immer Schweigen im Walde – Pardon, auf Seiten der Politik

Am 02.September. rief ich bei Octapharma in Langenfeld an und erkundigte mich nach dem Stand der Dinge. Ich hoffte zumindest auf so etwas wie „Erste Gespräche haben begonnen“. Oder „Es gibt einen Gesprächstermin in der kommenden Woche“. Auf sämtliche Kontaktversuche des Herstellers zum Spitzenverband der GKV erhielt dieser nur die Information, dass das Bundesgesundheitsministerium zuständig sei. Und vom Bundesgesundheitsministerium, dass es für diese Thematik NICHT zuständig sei. Während der nach wie vor gefährdeten Versorgungslage von Immundefektpatient:innen, erfuhr ich in meiner Facebook-Gruppe vom schlechten Gesundheitszustand von Mitpatient:innen. Es traf nicht nur jene, deren Präparat unter den Lieferstopp fällt, sondern auch andere, die ein völlig anderes Präparat nicht mehr beschaffen konnten und können:

„Ich kann es kaum glauben und es macht mir Angst. Ich habe vor 3 Wochen wegen der Knappheit der Immunglobuline meine Dosis von 5 Mal 12 Gramm in der Woche, auf 4 mal 12 Gramm reduziert. Also 48 Gramm im Monat weniger. Und seit gestern habe ich eine Lungenentzündung.“

„Ich werde gerade eingestellt, aber wegen der Knappheit bekomme ich immer noch nicht ausreichend geliefert, um mir meine Zieldosis zu spritzen. Ich habe wieder eine Mittelohrentzündung, die Neben- und Kiefernhöhlen sind ebenfalls entzündet. Ich habe solche Schmerzen, doch kann ich mich nicht krankschreiben lassen, aus Angst, meinen Job zu verlieren.“

„Seit drei Wochen liege ich mit 39° im Bett, ich bin ausgelaugt und fertig, weil ich nicht ausreichend Präparate zur Verfügung habe…“

„Weil ich vorher das Präparat cutaquig nahm, bekomme ich jetzt nichts vom anderen Hersteller. Die geben ihr Präparat nur noch an ihre Bestandspatienten raus.“

Zur Sache, Herr Bundesgesundheitsminister!

Am 04. September verfasste ich einen offenen Brief an Herrn Prof. Dr. Karl Lauterbach, sandte ihn ans Bundesgesundheitsministerium, ans Bundespräsidialamt, an sämtliche Berliner Parteibüros jener Parteien, die im Bundestag vertreten sind und an alle Landesregierungen der Bundesrepublik. Zudem verlas ich ihn in folgendem Video:

Viele teilten das Video, sandten ebenso meinen offenen Brief in ihrem Namen ans Bundesgesundheitsministerium.

Um Himmels willen, wie kannst Du nur?

Herrn Bundesminister derart provokante Fragen um die Ohren hauen? Und statt ihn liebevoll zu bitten, eher appellierend aufzufordern, seiner Verantwortung gerecht zu werden und sich endlich zuständig zu fühlen?
Das macht der Wunsch, am Leben zu bleiben. Die Hoffnung, dass sich unter uns Immundefektpatient:innen statt Verzweiflung und Angst wieder Mut und Freude breitmachen.

Ich möchte mich auch wieder voll und ganz meiner Arbeit widmen. Tun Sie endlich die Ihre, Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach!

Petra Carlile