Ich bitte zu Tisch!

Ich bitte zu Tisch!

24. August 2022 Aus Von Petra Carlile

Wenn sich Fronten im Streit verhärten, ist es schwierig, konstruktiv zu verhandeln. In solcher Situation gibt es zwei Möglichkeiten: jede der Seiten springt über den eigenen Schatten, bleibt bewusst auf der Sachebene, geht wertschätzend auf die anderen zu und bespricht systematisch alle Fakten. ODER: man bleibt für immer und ewig zerstritten und ist bemüht, sich nie wieder über den Weg zu laufen.

Fatal im Streit zwischen einem Blutplasma-Hersteller und dem Spitzenverband der GKV ist, dass es nicht ausschließlich um zwei sich uneinige Instanzen geht. Dieser Streit beeinflusst die Gesundheit von Menschen wie mir, die auf lebensnotwendige Präparate angewiesen sind. Eine Nichtverabreichung von Antikörpern birgt die Gefahr, uns durch den kleinsten Infekt in lebensbedrohliche Situationen zu manövrieren.

„Es ist Sommerpause, deshalb hört man nichts“

Klar, irgendwann muss jeder mal in den Urlaub. Verstehe ich. Kann jedoch nicht glauben, dass sich alle wichtigen Mitarbeitenden des Spitzenverbands der GKV oder gar des Bundesgesundheitsministeriums zeitgleich im Off befinden. Es gibt seit acht Wochen nicht mal ein Signal in Richtung Patienten, KONKRET an diesem Problem zu arbeiten. Und, ganz ehrlich? Wenn Immundefektpatient:innen halbwegs gesund bleiben wollen, müssen sie regelmäßig infundieren. Eine wochenlange Sommerpause ist nicht möglich. Urlaubszeit hin oder her. So sie denn den Stoff des Lebens haben, den sie benötigen.

„Stell Dich nicht so an, geh halt zur i.V. – Therapie!“,

…höre ich, wenn ich versuche, in der Öffentlichkeit auf unser Problem aufmerksam zu machen. Nun ja, auch die intravenös zu verabreichenden Präparate sind aus dem seltenen Rohstoff Blutplasma hergestellt. Wie lange diese Medikamente noch vorhalten, ist ebenso ungewiss. Vor allem, wenn alle aufgrund der prekären Lage auf die intravenöse Verabreichung umstellen müssen. Eine solche Therapie-Form ist weitaus teurer. Das Präparat an sich ist teurer, die Kosten für Personalaufwand (meist ein halber Kliniktagessatz) kommen noch oben drauf. Nicht zuletzt bedeuten i.V. Therapien größere Nebenwirkungen durch heftige allergische Reaktionen, was uns Betroffene extra belastet und einschränkt.

Heiminfusionen sind nicht nur verträglicher und preiswerter, sondern auch noch medizinisch sinnvoller, da eine häufigere subkutane Gabe in kleinerer Dosierung den Antikörperspiegel konstant im Normbereich hält. Die Schutzfunktion durch jene Antikörper ist größer als die höher dosierten i.V.-Gaben alle paar Wochen.

ICH BITTE ZU TISCH!

Ich bitte die Beteiligten beider Seiten: KOMMEN SIE SCHNELLSTMÖGLICH am Verhandlungstisch zusammen! Für konstruktive Gespräche, sachliches Beurteilen der Fakten, Abwägen aller Nutzen und Prüfung jener Gesetze, die uns plötzlich, wie aus dem Nichts, eine sinnvolle, etablierte Therapie verwehren, welche uns gesund und am Leben erhält.

Wünsche

Ich wünschte, ich hätte nie den Weg des laut Werdens in Sachen Immundefekt gehen müssen. Ich wünschte, all die Sorgen, Nöte, Ängste meiner Mitpatient:innen, die ich in den letzten Wochen hörte, las und sah, würden dafür zuständige Gremien ernst nehmen und sie lösen. Mit dem Herzen als Motor und Menschlichkeit als Treibstoff.

Ich wünschte, es gäbe nicht nur Bekundungen, sondern konstruktive Gespräche begännen. Mit einer patientenfreundlichen Lösung in Aussicht. Nächste Woche ist der erste September und mir und vielen anderen Betroffenen geht der Stoff aus.
Es scheint, als ginge es hier um weit mehr als nur um den Streit eines einzigen Herstellers mit den Instanzen des Gesundheitswesens. Ich wünschte, diese Annahme entspräche nicht den Tatsachen.

Ich wünschte, ich könnte einfach wieder meine Arbeit tun, Menschen unterstützen, ihre Berufung zu finden und ihren Berufsweg zu gehen. Ich wünschte, ich könnte mein Leben leben. Wer weiß, vielleicht ist das in absehbarer Zeit wieder möglich?

Alles, was ich habe, ist meine Hoffnung. Ohne die müsste ich hinschmeißen. Dazu habe ich keine Lust. Versprochen.

Eure Petra Carlile