Unwichtige Wichtigkeiten

Unwichtige Wichtigkeiten

27. April 2021 Aus Von Petra Carlile

Der Klamottenwahn

Trotz Homeoffice, Abstand und Kontaktminimierung ist unser Alltag ein ganz normaler. Um 06:30 Uhr sitzen mein Mann und ich bei einem Kaffee / Tee in der Küche und läuten den neuen Tag ein. Um 07:30 Uhr startet mein Arbeitstag, bei meinem Mann um 08:00 Uhr. Jeder an seinem Arbeitsplatz. Voll konzentriert. Weder mit Füßen auf dem Tisch noch ungewaschen oder ungekämmt oder gar in Schlumpi-Klamotten.

Dennoch stelle zumindest ich fest, dass ich an Kleidung viel weniger benötige. Nein, nein, nicht weil wir die Heizung auf volle Pulle aufdrehen. Sondern weil ich z.B. meinen Pullover, den ich heute getragen habe, auch noch morgen trage, so er weder bekleckert noch vollgeschwitzt ist. Vor den Home-Office-Zeiten war das undenkbar. An 2 Tagen hintereinander das GLEICHE tragen? Bist Du deppert! Das tut man nicht! Sonst ruhen doch alle Augen auf unsereins. Und wir vermuten Armutsinterpretation der uns Beobachtenden! Oder uns wird Styling-Ignoranz nachgesagt. Oder wir werden als Außenseiter abgestempelt.
Im Nachhinein: was für eine kranke Vorstellung! Wie viel Wasser, Waschmittel, Strom und letztlich Geld sind dabei flöten gegangen? Jahrein jahraus habe ich diesen eigenen Wahnsinn nie hinterfragt, bis er mir jetzt, einfach so, klar wird.

Was brauche ich wirklich?

Hand aufs Herz: wie viele Hosenanzüge, Blusen, Röcke etc. braucht Frau in echt? Seit einiger Zeit habe ich es mir angewöhnt, sehr kritisch alles, was ich an Kleidungsstücken in die Hand nehme, zu bewerten. Liebe ich dieses Kleidungsstück? Fühle ich mich darin wohl? Steht mir das überhaupt? Wann zum letzten Mal getragen?
So geht es auch jedem Gegenstand / Nippes. Verwende ich das? Macht mich das glücklich? In den letzten Wochen gab es schon einige Tüten voll für die Kleidersammlung und so manchen Gegenstand für die Trödelmarkthalle. Alles, was ich bisher weggegeben habe, vermisse ich nicht eine Sekunde! Es waren UNWICHTIGKEITEN. Kürzlich habe ich genau passend zu meiner aufflammenden „Mach-Dich-frei-von-Unnützem“-Stimmung einen sehr bewegenden Blogbeitrag meiner Sport- und Mental-Coachin und inzwischen guten Freundin Silke Zukunft gelesen.

Ich packe dann mal ein

Den Gedanken, den sie hauptsächlich darin anspricht, hatte ich vor zwei Jahren auch, als ich aus dem Krankenhaus lebend wieder nach Hause kam. Nämlich: Ein Wunder, wie sich mein Mann in meinen Unterlagen, in meinen Kleidern, in der Waschküche, in allem was mich betraf, überhaupt zurechtfinden konnte! Und: Was hätte ich ihm für einen schweren, unerträglichen Ballast hinterlassen, wenn mich der Boandlkramer doch geholt hätte?

Hier geht es zu Silke Zukunfts Beitrag: „Ich packe dann mal ein“
Fazit: meine bisherigen Entrümpelungsversuche waren pillipalli. Jetzt heißt es nochmal RAN AN DIE BULETTEN!

Der alte Zopf muss ab!

Seit Januar 2020 war ich aufgrund der eigenen Vorsicht nicht mehr beim Friseur. Irgendwann nervten mich meine Zotteln. Sie mussten ab und mein Mann musste ran. An die Kopfhaare. Was sollte passieren? Haare wachsen schließlich wieder! Nachdem er einmal einen Bob nach youtube-Anleitung umsetzte, was 2 Stunden dauerte, haben wir beim letzten Mal die Zopfvariante ausprobiert. Haare fest mit einem Zopfgummi zusammen gebunden und, je nach Mut-Level des Abschneidenden, die Schere oberhalb oder unterhalb des Zopfgummis ansetzen. Mein Mann war mutig. Mit anschließenden kleinen Korrekturen dauerte diese Prozedur 10 Minuten.


O.k., einen gescheiten, durch einen Friseur gestalteten Haarschnitt ersetzt diese Methode nicht. Ebenso drücke ich „meinem“ Friseurladen in Unterhaching, der Roth Friseurwelt by Sabine Aufinger, die Daumen, dass sie es schaffen und noch da sind, wenn auch ich mich wieder unter Menschen mischen darf. Momentan trete ich nicht beim Schönheitswettbewerb an und sooo hoch auflösend ist meine Webcam glücklicherweise nicht. Außerdem: die inneren Werte zählen 🙂

Das stand nicht auf dem Wunschzettel!

Nachdem 2019 so viele mit mir gebangt und sich anschließend gefreut haben, dass ich es geschafft habe, wurde ich in jenem Jahr zum Geburtstag und zu Weihnachten freudig und über die Maßen beschenkt. Allerdings waren viele Geschenke dabei, mit denen ich nichts anfangen konnte. Mit jedem Päckchen, das ich öffnete, sank meine Stimmung. Schon wieder ein Ding / eine Sache, womit ich nichts anfangen konnte und worum ich mich kümmern musste. Wohin mit einer parfümierten Körperpflegeserie – Kategorie Luxus-Artikel und nicht im dm-Drogeriemarkt zu haben – die ich nie anwenden kann? Weil mein Geruchssinn überempfindlich wurde und mir bei schweren Parfüms schwummerig wird; weil mir durch die Nebenwirkungen vieler dennoch hilfreicher, lebensrettender Medikamente, die Haut in Fetzen hing und ich sie nicht noch mehr reizen wollte, kam die Anwendung schlichtweg nicht in Frage. Und was tue ich mit einem Sitz- /Übungsball? Konzentrierte ich mich doch bereits seit Monaten zaghaft wieder auf die ersten Yogaübungen und arbeitete zielgerichtet daran, wieder bei den anderen mitmachen zu können. Ich hatte weder Platz für einen Ball, noch Zeit und Kraft, ein Sport-Ball-Übungsprogramm zusätzlich zu allen bisherigen Aktivitäten zu integrieren.

Nach wie vor waren meine Innereien etwas, sagen wir, gereizt. Weder Gluten- noch Milcheiweiß-haltige Naschereien sind dabei von Vorteil. Zudem streichen wir aus Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein alles, was Palmöl enthält. Mit diesem Hintergrund stand ich vor einer großen Menge Naschwerk und kämpfte gegen Appetit und tropfenden Zahn. Die reinste Folter, ich sag’s Euch! Vieles davon auch noch in wunderbar knisternde, Umweltschweinerei-mäßige, mehrfach umhüllte Geschenkefolie verpackt.
Nach vielen der leider unpassenden Geschenke war ich übellaunig und überhaupt nicht dankbar. „Wenn Weihnachten so aussehen soll, dass man sich gegenseitig materiellen Schwachsinn um die Ohren haut, finde ich dieses Fest verlogene SCHEIßE! Das alles füllt vom Geldwert her einen großen Einkaufswagen und ernährt eine 4 köpfige Familie einen Monat lang!“ Mein Mann stupste mich an mit dem Hinweis, dass die Schenker es doch nur lieb gemeint hatten und meine Sichtweisen nicht kennen.

Wahre Geschenke

Klar, nur jemand in meiner Lage, dem / der das Leben nochmal geschenkt wurde, kann nachvollziehen, wie sehr sich Ansichten über WICHTIG / UNWICHTIG im Leben ändern können. Trotz meiner Grumpfel-Laune einerseits empfand ich mich andererseits auch sehr undankbar. Deshalb fasste ich einen Plan für die Weihnachtszukunft. Vorher nahm ich mir die Zeit und erkundigte mich nach anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten meiner ungewollten Geschenke in meinem Netzwerk. Auf dem wirklich hochwertigen Sitzball sitzt nun ein achtjähriger Junge an seinem Schreibtisch und macht dort seine Schulaufgaben oder malt Bilder. Über die dufte Körperpflegeserie hat sich eine Freundin gefreut. Milchschokolade und sonstige von mir verschmähte Delikatessen brachten wir ebenso an den Mann / an die Frau. Lediglich die wundervollen, lustigen Post- und Grußkarten behielt ich.

Außerdem erfolgt seit letztem Jahr vor meinem Geburtstag / vor Weihnachten ein Rundruf an alle: BITTE KEINE GESCHENKE. Bitte SPENDET das Geld stattdessen an hilfsbedürftige Einrichtungen in Eurer Nähe. Ein wirklich gutes Gefühl. Vielleicht haben dies auch meine ehemaligen Schenker?
Es wissen wirklich nur wenige Menschen aus meiner direkten Familie oder aus unmittelbaren Nähe, was ich anwende / verbrauche / esse / trinke. Analoge Postkarten jedoch sind immer eine wahre Freude.

Gerade wird es Frühling draußen und ich rede von Weihnachten… Sorry. Glücklicherweise ist es bis Dezember noch eine schöne Weile hin. Deshalb: Habt einen schönen, ballastfreien Sommer voller Leichtigkeit!

Eure Petra

Beitragsbild: Petra Carlile