Das Glas ist halbvoll – nach wie vor
Hätte-hätte-Fahrradkette
Noch im Februar habe ich gehofft, dass die Vernunft vor Eigennutz gewinnt, dass jeder von selbst darauf kommt, das eigene Verhalten so auszurichten, dass wir COVID19 gar nicht erst in Europa großflächig verbreiten. Hätte jeder nur die eigenen Ansprüche zurück gesteckt. Hätte so mancher nicht einfach auf Urlaubsreisen und damit verbundenes Halli-Galli verzichten können? Tja. Hätte-hätte-Fahrradkette! Möglicherweise war diese Vorstellung auch naiv; agieren, handeln und arbeiten wir inzwischen global und weltweit.
Abstand hatte ich ohnehin schon eingenommen
Durch meine Erkrankung im Jahr davor war ich bereits gewohnt, Abstand zu halten von möglichen Niesern und Hustern der anderen. Waren doch und sind nach wie vor Infekte für mich gefährlich. Nein, noch immer habe ich mich nicht daran gewöhnen können, auf Abstand zu geliebten Menschen zu bleiben. Das Erscheinen von COVID19 vergrößerte diesen Abstand mit noch vorsichtigeren Verhaltensmaßnahmen für Immundefektpatienten um weitere Längen. Im März stellte ich meine Präsenztage für einen Kunden ein, bei dem ich vor Ort für Personal und Buchhaltungsthemen agierte. Coachinganfragen schob ich weit nach hinten oder verwies von vornherein an Kollegen.
Dankbar für mögliche Veränderung
Umso dankbarer bin ich, seit dem vom Homeoffice aus agieren zu können. Noch bis zu Beginn dieses Jahres wusste ich nicht, wie ich meine Coaching- und / oder sonstige Berufstätigkeit wieder auf die Beine stellen sollte. So ganz ohne direkte Kontakte. Workshops auf Abstand? Unmöglich! Einzelcoachings auf 10 m Entfernung? Oder mit vorherigem ärztlichen Attest, dass weder virulenter noch bakterieller Infekt mitgebracht werden? Nicht auszumalen! Doch scheinbar muss man sich einfach auf neue Wege einlassen und MACHEN. Und so darf ich statt meiner vorab von mir geplanten Präsenztage online für den einen Kunden weiter arbeiten. Auch 2 online-Workshops mit 10 bzw. 15 Teilnehmern habe ich erfolgreich umgesetzt, ohne dass mich die Technik wie ein böses Monster gefressen hat. Ebenso gut funktionieren Einzelcoachings. Und – oh Wunder – ganz ohne ärztliches Attest des Coachees…
Sport geht auch online
Nach wie vor agiert meine wunderbare Burnout-Yoga-Mindfulness-Trainerin Silke Zukunft auch online, was mir sehr zu Gute kommt. So bleibe ich am Ball. Der Knaller: wir haben online-Trainingseinheiten, zu denen sie uns auch – jeder für sich – an die frische Luft zu kleinen Bewegungseinheiten vor die Tür schickt. Samt Technik. Dieser Sport hat mich am Leben gehalten. Nicht nur körperlich sondern auch mental.
Mediation: für Bruchteile von Sekunden…
Dank meiner wunderbaren Lehrerin aus Ottobrunn und des Austausches mit meinem Guru-Onkel in Johannesburg bleibe ich täglich am Ball. Der Morgen beginnt in aller Stille auf meiner Yoga-Matte. Der eigens für mich zusammen gestellte Sonnengruß hilft, den Kreislauf in Gang zu bringen und steife Glieder aufzuwecken. Meine anschließende Meditationsübung eicht mich und bringt mich bereits sehr häufig in die notwendige Gelassenheit, meinen to-dos zu begegnen. Hin und wieder gelingt es mir für Sekundenbruchteile, das Gedankenkarussell auszublenden und nur im HIER und JETZT zu sein.
„Bist Du nun endlich wieder gesund und fit?“
werde ich oft gefragt. Wie gern möchte ich das einfach nur mit „JAAAA !“ beantworten, dabei aufspringen und mindestens 3 Stunden durchtanzen. Oder voller Freude auf den nächsten Berg steigen und mich auf dem Gipfel in einem Jodel-Jauchzer versuchen. Ist (noch) nicht soweit. Nach wie vor brauche ich Pausen am Tag. Entscheide ich mich für eine sportliche Einheit, die 30-45 Minuten dauert, gelingt an dem Tag nichts anderes mehr. Jeden Tag horche ich zur Mittagspause am Sofa, ob da noch alles klar ist. Wie sehr wünsche ich mir eine Bergtour zu schaffen. Also selbst vom Fuße des Bergs bis zum Gipfel und wieder zurück zu wandern, ohne dass mich die Kräfte im Stich lassen und das Immunsystem im Anschluss komplett runter fährt. Gott, wie ich die Berge vermisse!
Warum ich immer noch schlapp bin? In einem Speziallabor wurde mein Blut nocheinmal untersucht. Dabei wurden bestimmte Entzündungswerte gefunden, welche scheinbar für die immer noch anhaltende Abgeschlagenheit verantwortlich sind. Diesen könne man mit sogenannten Januskinase-Inhibitoren begegnen. ‚…Warum diese Medikamente funktionieren, wisse man nicht…‘. Keine vertrauenerweckende Antwort. Für mich ist diese Therapieform unvorstellbar. Mal für uns Laien übersetzt: derartige Medikamente werden bei rheumatologischen Erkrankungen eingesetzt. Dabei regulieren sie ein scheinbar überschießendes Immunsystem herunter und damit auch erhöhte Entzündungswerte. Nur habe ich kein überschießendes Immunsystem sondern genau das Gegenteil. Die Nebenwirkungen, die sich durch eine solche Therapie ergeben, sind auch nicht ohne. Wie meine Reha-Mitstreiterin einmal so schön formulierte: ‚des wär wie den Deifl mit am Beelzebub austreibm‘. So sieht es aus. Also bleibe ich bei Achtsamkeit, gesunder Lebensweise, Immunglobulin-Infusionen und Geduld. Weiterhin versuche ich mich, mit sportlichen Einheiten in Minutentakten zu steigern und meinem Immunsystem danach die notwendige Ruhe zu geben. Ich hoffe, dass der zwar langwierige, für mich aber machbare Weg in der Tat der gesündere und langfristig erfolgreiche ist.
FRUST
aufgrund des Corona-Virus und dem damit verbundenen Wahnsinn, der um uns herum passiert, ist nach wie vor da. Und ich gestehe, er wächst manchmal beträchtlich. Ich verstehe den Unmut über die Unwägbarkeiten, die viele Menschen von jetzt auf gleich in Kauf nehmen mussten. Ob sie wollten oder nicht. Über Entscheidungen, die gefühlt mit zweierlei Maß gemessen wurden und werden. Das plötzliche Home-Schooling und die Überlegung, wie man Arbeit und Kinder daheim unter einen Hut zu bringen hat, verlangt eine Menge Logistik ab. Über die z.B. Alleinerziehende oder jene mit weniger Gehalt als ein Manager einsteckt, nicht verfügen. Ich fühle mit allen, die um ihre Existenz bangen, ihr Geschäft schließen und wertvolle Mitarbeiter entlassen mussten. Jene, die nicht wissen, wie sie den nächsten Monat überleben sollen. Doch mein Mitgefühl hört auf bei jenen, denen es gesundheitlich und materiell sehr gut geht und die dennoch schimpfen und klagen. Dass sie an Weihnachten nicht in den Ski-Urlaub dürfen, dass sie an Silvester nicht die Party mit 30 und mehr Leuten abfeiern dürfen. Welch Einschnitt in die persönliche Freiheit! ECHT JETZT? Wer übermäßig viel Geld zur Verfügung hat für Urlaub in Ischgl oder Party mit vielen Gästen: wie wäre es, diesen scheinbar finanziellen Überhang in einen Beutel zu stopfen und all jenen einfach so zu schenken, die auf dem Zahnfleisch stolpern? Wäre doch nur für dieses Jahr; einfach anderen was Gutes tun und das eigene Ego zurück stecken. Da hört bei vielen scheinbar das „Mir halten zamm“ auf.
Corona ist kein simpler Schnupfen
Diese Wahrheit haben wir in unserer Familie kürzlich erfahren müssen. Meine wunderbare Schwiegermutter ist daran erkrankt. Und am 12. Dezember verstorben. Sie lag 4 ½ Wochen im Krankenhaus. Die meiste Zeit davon beatmet. Wie hart es ist, Angehörige im Krankenhaus nicht besuchen zu dürfen, wie zermürbend, nur alle 2 Tage ein update über den Zustand zu bekommen, von engagierten Ärzten, die trotz Überlastung ihr Bestes geben, welch Schmerz und überhaupt kein Trost es ist, der Sterbenden nicht die Hand zu halten, damit sie in ihren letzten Stunden nicht allein ist, all das ist schwer zu beschreiben.
„Naja, sie war ja schon in einem gewissen Alter…“ ist oft die Reaktion derer, die diese Viruserkrankung als genauso harmlos wie eine normale Influenza empfinden. Tauschen wir uns mit Ärzten aus unserem Umfeld aus, die täglich um das Leben der Erkrankten kämpfen, erfahren wir, dass es auch scheinbar völlig gesunde, fitte und junge Menschen trifft, die entweder mit den Füßen zuerst das Krankenhaus wieder verlassen oder mit Nachfolgeschäden kämpfen, mit denen sie ihr Leben nicht mehr so gestalten können wir vorher. Diese Informationen tauchen eher weniger in den Medien auf.
Welche Meinung ist die richtige?
Nun, meine Illusion ist, dass all jene, welche die Gefährlichkeit dieses Virus leugnen, sich doch freiwillig ein eigenes Bild davon machen. Wenn es harmlos ist, wieso dann nicht freiwillig auf eigene Gefahr in die Krankenhäuser und auf die Intensivstationen gehen und für 4 Wochen den 12-Stunden-Schichten der Pfleger und Ärzte folgen, diese wenigstens mit Handlanger-Tätigkeiten unterstützen um etwas Arbeitserleichterung zu schaffen und sehen, was dort geschieht? Doch so weit reichen die Freiheits-und Gemeinschaftsgedanken leider nicht. Schade.
Aufgeben ist absolut keine Option
Zugegeben, Weihnachten ist dieses Jahr für meine Schwägerin und ihren Mann, für meinen Mann und mich nicht voller heimeliger Fröhlichkeit. Doch werden wir weiter versuchen, unser Leben auszufüllen mit Freude, Freundschaft und Zuversicht. Denn es gibt auch Menschen, die genau diese mit uns teilen. Ich erhielt in den vergangenen Wochen wunderbare Anrufe, die mich erheiterten. Briefe, Mails und Postkarten, die mich fröhlich stimmten. Eine tolle E-Mail mit einem Dankeschön für meine Arbeit. Wunderbare Menschen, die mir auf Abstand liebe Grüße an die Tür hängten. Mal ein Wichtelpaket, mal eine Tüte exotischer Früchte. Mein Mann überraschte mich am Montagabend mit einer geheim geplanten Videokonferenz mit meinen Hamburger Deerns und deren Männern. Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen und nur mal sporadisch telefoniert. Da ist mir ganz schön die Mascara verlaufen vor Freudensturzbächen…. Unsere tollen Mitbewohner im Haus und unser rücksichtsvoller Umgang miteinander, ohne uns auf den Senkel zu gehen, ist ein tolles Wohngefühl. Auch wenn wir meine Eltern nicht besucht haben, konnten wir fast drei Stunden den Heiligabend gemeinsam verbringen. Die Technik mit Video-Chat machts möglich! Und es war fast, als säßen wir beieinander. Unsere wunderbaren Freunde in der Nachbarschaft, die da sind, wenn wir reden wollen. Und die da sind, wenn wir mal nicht reden sondern einfach nur auf Abstand auf gegenüberliegenden Seiten des Gartenzauns stehen und sie sehen wollen. Meine Kreativität, die wieder zaghaft anklopft. Ein wunderbares Telefonat mit meinem großen Bruder; all das sind die Dinge, die das Leben lebenswert machen. Trotz COVID 19 und aller Einschränkungen.
So werde ich auch morgen früh meine Yoga-Matte wieder ausrollen.
Euch allen einen entspannten Jahresausklang und möge uns das kommende Jahr Gesundheit, Freude und Zuversicht bringen!
Eure Petra
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