„Du hast es gut, Du wärst fast gestorben.“ …

„Du hast es gut, Du wärst fast gestorben.“ …

14. August 2020 Aus Von Petra Carlile

… sagte neulich eine Bekannte zu mir. Zugegeben, diese Aussage traf mich tief. Zunächst. Für mich klang es so, als würde diese Person mir schreckliche Erlebnisse geradezu wünschen. Dabei halte ich es absolut nicht für wünschenswert, mit einer beatmungspflichtigen Lungenentzündung auf der Intensivstation zu landen und den langen Weg der Rekonvaleszenz zurück in ein halbwegs normales Leben zu gehen. Das wünsche ich nicht einmal Personen, zwischen denen und mir sich die Chemie nicht stimmig verbindet.

Erst der Schuss vor den Bug motiviert uns, Veränderungen vorzunehmen

Ich versuchte, zu dieser Aussage Abstand zu gewinnen und fragte nach, wie genau das gemeint ist. „Naja, Du kannst noch mal ganz von vorne anfangen und alles anders machen, was vorher nicht gestimmt hat.“ Kann ich das wirklich erst seit dem? Tue ich das seit dem?

Im Grunde hatte sie Recht. Viele Menschen ändern ihr Leben erst nach einschneidenden Erlebnissen in ihrem Leben. Eine schwere Krankheit etwa. Oder durch den Verlust eines nahen Angehörigen. Vielleicht auch nach einem traumatischen Erlebnis. Erst dann erhalten die meisten von uns einen anderen Blick auf das eigene Leben und dessen Sinn. Und wir beginnen, die Weichen anders auszurichten. Bevor meine Erkrankung im schweren Verlauf mündete, erkannte ich schon hin und wieder, wenn Dinge für mich nicht stimmig waren. Dass ich in manchen Situationen unglücklich war. Doch die Stellschrauben drehte ich nie richtig beherzt sondern immer nur mit kleinen Umdrehungen, um etwas zu ändern. So ist der Wunsch meiner Bekannten, auch fast zu sterben, um endlich aus ihrem Hamsterrad auszubrechen, zumindest nachvollziehbar. Doch NIEMAND darf so vom Strudel verschlungen werden und sich den Schuss vor den Bug herbei sehnen!

UNSER Leben, EINE Verantwortung für uns selbst

Vielleicht regen die folgenden Fragen uns alle an, unsere Blickwinkel zu erweitern. Ganz ohne die Schüsse vor den Bug sondern so, dass sie Schritt für Schritt unser Leben zu UNSEREM Leben machen und wir nach und nach das verändern, was nicht zu uns passt:

Was wäre, wenn…
… wir wüssten, dass wir nicht mehr lange leben würden?
… wir im Beruf das täten, was uns WIRKLICH Spaß macht?
… wir erkennen würden, dass wir stets versuchen, nur den Erwartungen anderer gerecht zu werden?
… bisher Erfolg zu haben nur bedeutete, die Ziele zu erreichen, die andere für uns definiert haben?
… wir uns nur mit Personen umgeben, die uns gut tun und keine Zeit verschwenden mit jenen Begegnungen, die uns nur runter ziehen?
… es uns egal ist, was andere über uns denken?
… wir unsere Misserfolge nicht als Scheitern betrachten sondern als Anstoß, unseren Fuß auf einen neuen Weg setzen?
… wir zu unserer Meinung stehen, auch wenn andere sie für naiv / dumm / utopisch halten?
… wir materielle Dinge nicht brauchten, um unseren Selbstwert zu steigern?
… wir zielstrebig Wege suchten, um unsere Träume wahr werden zu lassen?
… unser sehnlichster Traum in diesem Moment wahr würde?


WIE FÜHLT SICH DAS AN?

Obwohl ich den Konjunktiv aus meiner sonstigen mündlichen und schriftlichen Ausdrucksweise verbanne, halte ich ihn für die „Was wäre wenn…“ – Fragen wichtig. Der Konjunktiv ist unverbindlich. Ohne aus lauter Angst vor Veränderung gar nicht erst auf unsere Sehnsüchte zu schauen, führen uns diese Fragen dazu, endlich unseren eigenen Gedanken nachzugehen. Wir können einen Moment inne halten und uns hinein fühlen in unsere Träume und Sehnsüchte und für einen Augenblick von dem Glücksgefühl kosten, das eines Tages Tatsache werden kann. Die Was-wäre-wenn-Frage ist erst von außen durch meine Coachin Silke Zukunft an mich heran getragen worden mit der Aufforderung, mir jeden Tag Zeit dafür zu nehmen und mich hinein zu FÜHLEN. Dafür bin ich unendlich dankbar. Denn: habe ich die Chance, mich in ein mögliches WAS-WÄRE-WENN… hinein zu FÜHLEN, zieht das Herz mich viel mehr in Richtung dieses Wunsches und lässt ihn viel intensiver erscheinen. Die ‚wenn‘ – und ‚aber‘ – Töne werden so immer leiser. Und ich beginne zu handeln.

Mit dem Mut eines Kindes

Beobachten wir Kinder, sehen wir, dass sie sich ohne die Fesseln von „das tut man doch nicht“ bewegen. Sie wagen es, spontan zu singen oder zu tanzen. Gelingt ihnen etwas nicht, versuchen sie es wieder auf andere Weise, statt sich als gescheiterte Loser zu betrachten. Sie tun das, wozu sie gerade Lust haben. Jonas ist heute nach malen statt Lego? Her mit den Malstiften! Susi will mit Nachbars Hund um die Wette rennen statt Perlen auf eine Kette zu fädeln? Ab nach draußen!
Die Aussagen von Kindern sind verblüffend ehrlich ohne diplomatische Verrenkungen. Die Umwelt hat sie noch nicht geformt. Oder besser gesagt: sie wurden noch nicht durch vorgefertigte Schablonen gepresst. Sie gehen ihre Träume an. Ohne Hürden. Da entsteht ein Schloss  aus vorhandenen Ressourcen (Decken, Tisch, Stühle). Völlig ohne Lampenfieber steht Paula vor einem Publikum und performt ihren Rockstar-Traum. Und Luise stellt mit ihren Handpuppen nach, wie sie ihr kleines Unternehmen leitet.

Was IST, wenn wir uns noch einmal in die unverfälschten Denk- und Verhaltensweisen aus unserer frühen Kindheit versetzen und uns unseren Mut von damals zurückholen? Alles kann passieren. Und das, ohne beinahe zu sterben…

Ja, es stimmt. Oft habe ich mich von äußeren Umständen einnehmen lassen. Ich bin bis zum letzten Jahr nicht mit meinem ganzen Mut meinen eigenen Weg gegangen. Doch weiß ich sehr genau, dass wir keinen Schuss vor den Bug brauchen. Niemand hat es verdient, erst durch die Hölle zu gehen, um zu erkennen, was wirklich zählt für das eigene Leben.

Alles Gute beim Träume-leben!
Eure Petra

Titelbild: Image by tatlin from Pixabay