Erkältung – Übertriebene Rücksicht oder tough sein?

Erkältung – Übertriebene Rücksicht oder tough sein?

29. Februar 2020 Aus Von Petra Carlile

Wintermonate: Hochkonjunktur für Skiliftbetreiber, Schneekanonen-Schützen und … Erkältungskrankheiten. Ob wir wollen oder nicht. Mindestens 1x / Jahr ist jeder dran mit brummendem Schädel, verstopfter Nase, heiserer Stimme und Husten bis die Bauchmuskeln schmerzen. Normalerweise ist so eine Erkältung keine große Sache und relativ gut auszukurieren, so sie keine gravierenden Symptome wie Fieber oder Schüttelfrost, üble Bronchitis oder extreme Nasenneben- und Stirnhöhlenentzündung bedeutet. Ja, ich weiß, es geht noch schlimmer. Das will ich hier weder bildlich noch verbal ausführlich beschreiben. Worauf ich hinaus will: die meisten Menschen kommen klar, wenn es sie ‚erwischt‘ hat. Sie sind relativ rasch wieder ‚uff’m Damm‘, wie es in meiner alten Heimat so schon heißt. Sie sind ein wenig ausgebremst, setzen vielleicht eine Woche ihre tägliche 10 km Joggingstrecke aus und gehen frühzeitig ins Bett, statt sich auf einer Party zu belustigen. Es nervt zwar, aber nur kurzfristig. Man lutscht Salbeidrops, trinkt Tee und pfeift sich ein paar mehr Vitamine rein als sonst. Wieso deshalb von der Arbeit fern bleiben? Man fühlt sich doch soweit ganz o.k.!

Tough sein geht für PID-Leute nicht

Doch was machen Leute wie ich und alle, zu deren Leben z.B. ein primärer Immundefekt (PID) oder eine andere chronische Krankheit gehört? Ein bloßes Anniesen oder Anhusten kann ausreichen, dass wir 2 Tage später richtig flach liegen. Und das x.te Antibiotikum einnehmen. Einnehmen müssen. Weil das vorerst vielleicht nur durch Viren geschwächte Immunsystem noch viel empfänglicher wird für alle um uns existierenden Bakterien, die in uns sofort eine Party feiern und sich fleißig vermehren. Diese kleinen Ferkelchen. Jeder mit gut und normal funktionierendem Immunsystem kann das locker abwehren. Gesunde haben die Immunglobulin-Bodyguards überall im Körper. Sogar schon in den Schleimhäuten von Nase oder Mund. Kommt ein böses Bazillus oder Virus und will sich ein Nest bauen, versperren diese Bodyguards den Weg. Oft mit einem einzigen ‚Lucky Punch‘ werden die Bösewichte niedergestreckt und vom Reinigungskommando nach draußen befördert. Ist das erledigt, streifen sich die Bodyguards ihre schicken Armanianzüge glatt, rücken die Sonnenbrille zurecht und stellen sich wieder breitbeinig und mit verschränkten Armen vor den Eingang von Mund und Nase. Bei unsereins verweigern sie den Dienst. Egal, wie viel Gehalt und Provision wir bieten. Sie erscheinen erst gar nicht zur Arbeit. Schade.

„Jetzt hab Dich mal nicht so!“

Weil wir uns trotzdem ein halbwegs normales Leben wünschen und im Alltag fit sein wollen, meiden wir Infektionsmöglichkeiten, wo es nur geht. Wir hinterlassen bei anderen einen übertriebenen, übervorsichtigen Eindruck. So fallen wir z.B. bei unseren Mitmenschen auf:

  • Wir geben nicht die Hand zur Begrüßung oder Verabschiedung – viele sind bei mir deshalb sehr irritiert oder empfinden das als unhöflich.
  • Unterschreiben wir beim Paketlieferdienst mit dem Display-Pen, den schon tausende andere berührt haben, flitzen wir anschließend sofort ins Bad zum Hände waschen und -desinfizieren.
  • Setzt sich bei einer Besprechung eine Schniefnase oder ein bellender Huster neben mich, springe ich auf wie von der Tarantel gestochen, greife zum Mundschutz und setze mich weit, weit weg. Am liebsten möchte ich verschwinden oder zumindest hinter dem breitschultrigen Protokollschreiber in Deckung gehen. Doch bekomme ich entweder einen schiefen Blick vom Schniefer / Huster oder ein entnervtes: „Och, nu hab Dich mal nicht so! Das bisschen Schnupfen!“
  • Neulich im Supermarkt setzte ein Kunde beim Gemüse-Regal zum Niesen an. Er stand 5 m von mir weg. Als es explosionsartig aus ihm heraus brach, ging ich duckenderweise in Deckung. Wie früher beim Völkerball in der Schule. War einfach ein Reflex. Ob hilfreich oder nicht, ist nicht statistisch bewiesen. Zumindest muss das komisch ausgeschaut haben. Der Nieser hat mich mit einem sehr vernichtenden Blick gestraft und zog mit seinem quietschenden Einkaufswagen beleidigt an mir vorbei. Ich schaute ihn bedauernd an und dachte: „Sorry Alter, Deine Abwehrhaltung ist mieserabel. Normalerweise kommt eine beherzte Ellenbeuge ange-Stürmer-t, BEVOR der Elfmeter versenkt wird…“
  • Ich habe eine Bahn-Card. Und diese in meinem genetisch-bedingten Optimismus im Juli verlängert. Ist ja schließlich umweltfreundlich! Doch meide ich es, mit Fremden auf engem Raum zusammen zu hocken. Und vollklimatisierte Verkehrsmittel, durch welche die Bazillen-geladene Luft noch so richtig durchgewedelt wird, sind momentan kontraproduktiv. Also Geld zum Fenster hinaus geworfen. Meine Bahncard staubt vor sich hin.
  • So kommen auch S- und U-Bahn, Bus oder Tram gerade nicht in Frage. Es sei denn ich fahre zu Zeiten, in denen kaum einer drin sitzt. Also nachts. Habe jedoch selten des nachts Erledigungen zu erledigen.
  • Termine in der Innenstadt untertags muss ich mit dem Auto abhaken. Eine wirkliche Umweltsünde. Und Spaß habe ich im stopf-and-go-Verkehr nicht. Auch die Parkplatzsuche wird zu einer halbstündigen Geocaching-Tour. Ich summe jedes Mal das Lied von Herbert Grönemeyer und wenn es mich richtig nervt, schreie ich singenderweise so richtig aus mir raus: „… Oooooh, ich drehe schon seit Stunden hier so meine Runden. Es trommeln die Motoren, es dröhnt in meinen Ohrn. Ich finde keinen Parkplatz, ich komm zu spät zu meinem Arzt, der sitzt bei Kaffee und Kuchen und ich muss weiter suchen….“
  • Wegen meiner besonderen Vorsicht habe ich wirklich in jeder Jacken- und Manteltasche ein Minifläschchen Sterillium. Wo jeder andere vielleicht den Labello oder die Packung Orbit-extra minzig aufbewahrt. Bei mir heißt es also nicht mehr „Hej, willste auch ein Tic-Tac?“ sondern: „Na, magst auch ein paar Sprizter Sterillium?“

Rücksicht ist Wertschätzung, Corona-Virus hin oder her, Immundefekt hin oder her

Kinderleicht: Hände waschen

Ja, ich für meinen Teil habe das viele, viele Male kommuniziert, dass ich vorsichtiger sein muss als andere. Und spule diese Schallplatte immer wieder geduldig und freundlich lächelnd ab. So wie garantiert auch alle anderen meiner Mitpatienten. Vielleicht versteht mancher, dass wir es uns zur Erinnerung anderer nicht auch noch auf die Stirn tätowieren oder ein Schild am Kettchen um den Hals tragen.
Doch mal ehrlich: gilt diese Rücksichtnahme nicht für ALLE, egal ob gesund oder vorbelastet? Soll wirklich nur auf immungeschwächte Mitmenschen Rücksicht genommen werden? Warum tun wir es nicht alle untereinander? Ohne uns gegenseitig die Krankheitsgeschichten bis in die dritte Generation zurück zu erzählen?

Momentan grassiert das Corona-Virus. Alle halbe Stunde geht es auch viral durch die Medien. Während der Eine noch denkt: ‚Was? Wegen so was meinen Italien-Urlaub absagen?‘, möchten wir am liebsten sagen: ‚…bitte Leute, bleibt daheim und schleppt es nicht zu uns ins Land.‚ Ist jetzt eh schon Wurscht, weil dem Corona Zeit gegeben wurde sich zu verbreiten, bevor die Damen und Herren der Politik ausgeschlafen hatten, um eindämmende Maßnahmen zu ergreifen. Da hilft es auch nicht, wenn das Thema panikartig alle 30 Minuten durchs Radio geblasen wird. Dass unsereins jedoch ein Stück weit mehr Panik schiebt als die mit dem Immunsystem, das stark ist wie ein Bär, könnt Ihr vielleicht verstehen?
HILFREICH auch für alle ohne eine Vorerkrankung sowohl in Erkältungs- als auch Corona-Virus-Zeiten finde ich gegenseitige Rücksichtnahme. Für mich bedeutet das z.B.:
Jeder, der zwar erkältet ist, sich jedoch einigermaßen fit fühlt, ist trotzdem noch Träger von Krankheitserregern. Vielen ist das nicht bewusst. Doch Fakt ist Fakt. Abstand halten zu allen anderen, egal ob schwaches oder starkes Immunsystem, ist eine echte Hilfe! Und hat nichts mit Abneigung zu tun. Wir mögen Euch! Wirklich! Mal davon abgesehen finde ich diesen Grund zum Abstand halten wertschätzend und ausgesprochen rücksichtsvoll. Die Mehrzahl findet menschliche Zuneigung und dem-anderen-zugewandt-sein toll. Doch niemand freut sich, wenn jemand mit Erkältung alle anderen auch an seinen Krankheitserregern teilhaben lässt. Ob bumperlgsund oder immungeschwächt.
Viele mit Infekten schaffen es bereits, nicht einfach so in die Gegend zu niesen oder zu husten. Sie halten sich die Hand vor den Mund. Mit der dann allerdings Türklinken, Telefonhörer, Fenstergriffe, Kugelschreiber usw. angefasst werden. Hierzu fällt mir ein ekliges Wort ein: SCHMIERINFEKTION. Tröpfchen- und Schmierinfektionen sind die häufigsten Übertragungsmöglichkeiten gemeiner Erreger. Ob die nun Coronoa oder Influenza heißen. Fies bleibt fies. Besser also, wir husten und niesen in die Armbeuge und waschen und desinfizieren uns trotzdem die Hände. Mehrfach zu benutzende Stofftaschentücher sind zwar umweltfreundlich, weil wiederverwendbar. In Erkältungszeiten jedoch nicht wirklich krankheitseindämmend. Man(n) oder Frau niest und schnupft ins Stoffläppschn und steckt es wieder in die Hosentasche. Ein schöner, warmer, abgedunkelter Ort, an dem vieles lecker weiter gedeiht. Beim nächsten Nieser oder Schniefer wird das hübsch mit Monogramm bestickte Taschentuch wieder hervor geholt, einmal in die Runde geschwenkt oder schüttelnderweise entfaltet und dann wird (wieder) herzhaft in die angewärmte Stoffepedemie gerötzelt. Neben Tröpfchen- oder Schmierinfektion gibt es also auch noch Ausschüttelinfektion als Übertragungsmöglichkeit.

So, Schluss mit Ekelei. Ich DANKE JEDEM und JEDER von Euch für Abstand, Rücksicht und Wertschätzung und das sich Erinnern und Umsetzen des SONDERKNIGGE bei Virus- und Erkältungskrankheiten. Ich werde es meinerseits auch tun, wenn mich die Schniefseuche heimsucht. Versprochen!

Mögen Corona & Co. schnellstmöglich verschwinden und wir alle verschont bleiben!

Eure Petra

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