Auswertung Selbstanalyse – Wer bin ich? – Teil 2

Auswertung Selbstanalyse – Wer bin ich? – Teil 2

23. Januar 2020 Aus Von Petra Carlile

Inzwischen habe ich von fast allen, die ich um eine Fremdeinschätzung gebeten habe, die bearbeiteten Bewertungsbögen zurück. Wer hat mich wie eingeschätzt? Neugierig war ich schon. Doch wollte ich unvoreingenommen an meine Einschätzung und auch meine Bewerter nicht bewerten.
Meistens habe ich die ausgefüllten Analyse-Bögen auf einem Haufen gesammelt, bis sich mehrere stapelten. Da nur Kreuze oder Kringel zu setzen waren, ließ sich für mich nicht (mehr) erkennen, von wem welche Ankreuzungen stammen. Ich trug die jeweiligen Bewertungen in eine Excel-Liste ein. Lediglich den Auswertungen meines Mannes und denen meiner wunderbaren Mutter schaute ich 1:1 direkt ins Auge. In der Übersicht jedoch weiß ich nicht mehr, welche der Spalten die Bewertung der beiden oder die der anderen wiedergeben. Nur meine eigene Bewertung habe ich mit einer Namensspalte belegt. Nachdem ich alle Auswertungen übertragen habe, löschte ich die zugesandten Mails und schredderte die Papier-Auswertungen. Neben vielen Übereinstimmungen zwischen meiner Selbsteinschätzung und den Fremdeinschätzungen gab es auch einige Aha-Effekte für mich.

Die Grundlagen

Hesse / Schrader: „Was steckt wirklich in mir?“

Es gibt viele Selbstanalysetools. Vorab möchte ich anmerken: es gibt NIE DIE EINE Selbstanalyse, deren Ergebnis DEN ultimativen Stein der Weisen beinhaltet. NIE! Sich selbst zu finden ist ein Prozess, der Zeit braucht. Meine erste Grundlage, das Buch von Hesse / Schrader „Was steckt wirklich in mir?“, hat zum einen noch viele weitere Tools und Anregungen. Die ich für mich ebenfalls durchgegangen bin. Zum anderen gibt es weitere Anbieter und Möglichkeiten der Selbstanalyse. Das Buch ist das, was ich als ersten Schritt auch anderen empfehle, die zu mir zum Berufsfindungs-Coaching oder zur Neuorientierung kommen. Um überhaupt zu beginen, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Da ist es nur legitim, dass ich mit diesem Buch meine Selbst(er)kenntnis starte. Wohlgemerkt starte. Nicht vollende. Für den Anfang habe ich aus dem Buch

  • die Adjektivliste (wie bin ich?)
  • die Verbenliste (welche Tätigkeiten machen mich aus?)
  • die Fähigkeitenliste (Kompetenzen / Schwächen?)

bearbeitet und für die Fremdeinschätzung an andere verteilt. Nach diesen Ergebnissen werde ich mir nicht gleich meine neue Zukunft planen. Sie sind lediglich ein erster Schritt. Parallel lese ich sehr viele Bücher, recherchiere und übe weiter zu meditieren, um einen besseren Zugang zu mir selbst zu finden. Und somit bessere Entscheidungen für mich und mein Wohlbefinden zu treffen als in den Jahren zuvor. Mit Sicherheit werde ich auch ein persönliches Coaching in Anspruch nehmen.

Klarstellung

Ich werde nicht komplett alles hinschmeißen. Doch werde ich in meinem Privat- und Berufsleben einiges ändern. Ändern müssen, wenn ich wieder fit werden möchte. Deshalb nehme ich meine zweite Lebens-Chance zum Anlass, genauer hinzuschauen. Oft genug habe ich vor meiner Erkrankung Tätigkeiten ausgeübt, die ich nicht von mir aus begann sondern wozu mich andere brachten. Manchmal war es gut für mich, manchmal nicht. Und klar, ich muss auch beurteilen: was ist weiterhin noch möglich, was nicht? Was kann ich weiter tun, nur vielleicht anders? Ursprünglich wollte ich meinen Blog „Zurück auf Start“ nennen. Doch diesen Titel gibt es bereits als Buchtitel von einer tollen Frau: Anne Koark und auch zu einem anderen Thema.

Auswertung

So wurde ich am meisten mit hoher Punktzahl beschrieben (Adjektivliste):
freundlich, herzlich, liebenswert, selbstkritisch, verständnisvoll und
ehrlich, einfühlsam, fleißig, hilfsbereit, loyal, pflichtbewusst, sympathisch, vertrauenswürdig, zuhörbereit, zuverlässig


Das sind die am meisten angekreuzten Tätigkeiten, die mir entsprechen (Verbenliste):
anleiten, anregen, beobachten, beraten, betreuen, einschätzen, empfehlen, ermutigen, fühlen, helfen, motivieren, unterstützen, verstehen, zuhören und
ausdrücken, erzählen, formulieren, kommunizieren, reden, schreiben, sprechen, unterhalten, verbalisieren

Für diese Fähigkeiten / Kompetenzen wurden die meisten hohen Bewertungen erteilt (Fähigkeitenliste):
andere für etwas motivieren, Einfühlungsvermögen, Freundlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit
Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Lernbereitschaft, mündliches Ausdrucksvermögen, schriftliches Ausdrucksvermögen, Präsentationsfähigkeit, guter Geschmack, persönliche Schwierigkeiten überwinden können, Lernbereitschaft, Sorgfalt / Genauigkeit, systematisches Abarbeiten

Wie war es für die Auswertenden?

Viele beschrieben mir, wie es für sie war, mich zu bewerten. Alle kennen mich auch aus Zeiten vor meiner Erkrankung. Womöglich war ich damals energiegeladen und voller Elan. Das bin ich jetzt nicht. Also wie bewerten? Vor der Zeit, als…?, oder aktuell? Manchen fiel es schwer, gerade in der Fähigkeitenliste „wenig oder gar nicht vorhanden“ anzukreuzen, obwohl es aus deren Sicht zutrifft. Letztlich hielten sich alle an meine Bitte, Mut zu zeigen, wenn es gilt, sich meinen Schwächen nicht zu verschließen. Manch einer konnte – locker aus dem Bauch heraus – in kurzer Zeit alle Listen abarbeiten. Andere wieder brauchten Zeit, haben viel überlegt und abgewogen. Einige waren neugierig und mochten die Listen im Anschluss gleich mal auf sich anwenden und durchgehen. Unterm Strich ergibt sich für mich: viel zu selten reflektieren wir uns selbst oder bitten gezielt um Feedback.

Wie war es für mich?

Ein weiterer Anteil in mir meldete sich zu Wort: Bettina, die Bescheidene. „Nu hau man nicht so auf den Putz“ oder „Eh, das kannst Du echt nicht bringen“, versuchte sie mir stets zu sagen, wenn ich mich bei dem einen oder anderen Merkmal gut oder sehr gut bewertet habe. Da ging ich mit ihr durch unseren tiefgefrorenen Garten und wir diskutierten eine Weile. Für Nachbarn, die mich vielleicht dabei beobachteten, hinterließ ich bestimmt einen ulkigen oder durchgeknallten Eindruck mit meinem dicken Anorack, meiner Bommelmütze und in Selbstgespräche vertieft. War mir jedoch egal. Ich zeigte Betty, der Bescheidenen, dass sie als Tugend viele Vorzüge hat und es Momente gibt, in denen sie zum Zuge kommen darf, ja sogar muss. Sie blieb sehr hartnäckig. Denn spätestens seit Poesiealbum-Zeiten ist sie meine Mitbewohnerin. Glücklicherweise mischte sich Schorsch, mein innerer Clown und hartnäckiger Antreiber, in unsere Diskussion ein. „Hey, gib ihr doch mal die Chance, groß zu denken! Immerhin geht es nicht um das größte Stück Schwarzwälder Kirschtorte, dass sich die Petra abschneiden will. Es geht um ihr Leben. Dafür hat sie die Verantwortung! Und wenn sie das bestmögliche für sich sucht, dann macht es keinen Sinn, sie auf dieser Suche zu beschneiden…“ Ich ließ die beiden noch eine Weile diskutieren, bis es uns dreien kalt wurde und wir uns drinnen bei einer Tasse Tee einigten: zur Freude von Schorsch darf ich meiner Einschätzung über meine Fähigkeiten und Eigenschaften nachgehen. Ich darf Ideen suchen und finden und dabei groß denken. Sollte ich auf dem Weg zum Erfolg arrogant werden oder abheben, darf Betty sofort einschreiten. Sie war zufrieden.

Meine Aha-Momente – Defizite im Prioritäten setzen und introvertiert sein

Meine liebe Mom ist die Bögen auch zweimal durchgegangen. Immerhin wollte sie mir helfen und mir nicht Honig ums Maul schmieren. Eine Tatsache, über die ich ihr sehr dankbar bin. Sie war konstruktiv kritisch und hat dabei dennoch sehr motivierende Aussagen getroffen. Ihre Einschätzung war sehr hilfreich für mich. Wir haben darüber auch telefoniert. Klar, einfach war es für sie auch nicht. Im Laufe unseres Gesprächs dachte ich an früher. Wenn wir (mein Bruder und ich) uns falsch verhalten haben, hat sie uns stets konstruktiv ermahnt, das fehlerhafte Verhalten aufgezeigt aber nie unsere Person verurteilt. Wenn wir niedergeschlagen waren und am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt hätten, hat sie immer noch an uns geglaubt und uns angespornt. Und das tut sie heute noch. Man, ich bin so froh, dass ich sie habe. Und dass sie im Familienstammbaum auf dem Ast jener Familie sitzt, die positives Denken in den Genen hat. War gut, mir dessen nochmal bewusst zu werden. Und diese Gene auch in mir immer wieder zu aktivieren. Denn die sind glücklicherweise nicht defekt.
Mein Mann bestand sogar darauf, dass ich seine Auswertung mit ihm bespreche. Und in einem Punkt fragte ich wirklich nach. Für mich bin ich der Meinung, dass ich Wichtiges sehr wohl von Unwichtigem unterscheiden kann. Mein Mann nicht. Er kennt mich privat. Zusammen gearbeitet haben wir nie. In meiner Arbeit setze ich durchaus Prioritäten, mit denen ich bisher gut gefahren bin. Nachdem mein Mann mit Hilfe von Beispielen aufzeigte, dass ich es daheim aus seiner Sicht nicht tue, habe ich lange nachgedacht. Und gemerkt: verflixt, er hat Recht! Momentan ist es sehr wichtig, dass ich zu Kräften komme und sehr auf mich achte. Wenn ich also beim Staubwischen bin statt zu meditieren, wenn ich einkaufe statt einen Spaziergang in der Sonne zu unternehmen, wenn ich meine, mein Auto muss durch die Waschanlage, statt die Yogamatte auszurollen, …., … o.k., ich höre auf mit den Beispielen. Glaubt mir, es gibt noch einige mehr. Es war gut und richtig, in diesem Punkt die Sicht von außen zu erhalten. Gerade jetzt, wo ich erneut zum Antibiotikum greifen musste und auf dem Sofa liege, ist es deutlich: es braucht noch viel mehr Achtsamkeit mir selbst gegenüber. Es kann nicht sein, dass mein Körper stets erst auf die Bremse treten muss. Gern möchte ich Achtsamkeit zu meiner absoluten Priorität machen, BEVOR ich auf der Nase liege.
Ein weiterer Punkt, der sich nahtlos an den vorherigen anreiht, ist folgender: momentan finde ich nicht das richtige Maß zwischen Überlastung und Unterforderung. Ich habe für mich eingeschätzt, dass ich dies in den letzten Monaten doch schon ganz gut umgesetzt habe. Nicht nur mein Mann sondern viele andere sehen das nicht so. Ich überlaste mich, bevor ich checke, ob die Batterien noch geladen sind. Diese Wahrheit hat mich schon getroffen. Ist heftig aber wichtig.
Verwundert war ich über eine Bewertung, die ich bis jetzt nicht zuordnen kann. Jemand hat mich mit voller Punktzahl als introvertiert bewertet. Klar, ich bin nicht Hans-Dampf-in-allen-Gassen und stelle mich ins Rampenlicht, wann immer ich einen Raum betrete. Doch verschlossen und in mich gekehrt sehe ich mich nicht. Sonst würde ich diesen Blog nicht schreiben und mein Innerstes nach außen kehren. Wer weiß, in welcher Situation mich diese Person introvertiert erlebt hat. Bestimmt gibt es Situationen, in denen ich sprachlos war und nichts zu sagen wusste. Ja, ab und an kommt das auch bei mir vor. Vielleicht ist es auch das Erleben der jetzigen Situation. Denn nach wie vor lebe ich zurückgezogen und treffe mich aus reiner Gesundheitsvorsicht eher selten mit anderen Leuten. Und wenn, dann müssen diejenigen vorher durch die Dekontaminationsschleuse.

Was mache ich mit diesen ersten Erkenntnissen? Weil dieser Blogbeitrag schon wieder sehr lang ist, folgt die Fortsetzung im nächsten Beitrag. Happy Wochenende!

Titelbild von Gerd Altmann auf Pixabay
Foto Buchcover: selbst erstellt durch Petra Carlile