Unser Lottogewinn: Freunde und an-mich-Denker

Unser Lottogewinn: Freunde und an-mich-Denker

7. Dezember 2019 Aus Von Petra Carlile

Was mich bis zum heutigen Tag stört, ist der Abstand zu anderen Menschen. Auch jetzt noch, 8 Monate nach meinem Crash, meide ich große Menschenansammlungen oder Restaurants, in denen die Tische dicht an dicht stehen. Ebenso sind wildes Händeschütteln und Umarmungen nach wie vor tabu, um Ansteckungen und erneute Infekte zu meiden.
Von Haus aus umarme ich gern all jene Menschen, die mir am Herzen liegen und drücke sie an selbiges. Und jetzt bleibe ich auf Abstand und winke einen kurzen Gruß in einigen Schritten Entfernung. Unpersönlicher geht es nicht. Es soll wieder besser werden, sagt man mir. Nur Geduld. Die gibt es noch mal wo zu kaufen?

Umarmung und Bussi-Bussi-Gehabe

Noch nie war ich ein Fan von Bussi-Bussi-Begrüßungs- und Abschiedsgehabe. Oft genug, wenn ich andere dabei beobachtete, empfand ich es unecht und unaufrichtig. Und manchmal sogar affektiert. Man geht dabei, mehr als bei Umarmungen, auf Tuchfühlung Haut an Haut. Bussi links und Bussi rechts. Wer testen möchte, wie rasch Bazillen von einem zum anderen hüpfen, kann ja mal bewusst eine Woche lang herum-Bussi-Bussi-grüßen und sich verabschieden. Doch werden dabei nicht nur Bazillen übertragen. Wenn mich früher bei einem Netzwerktreffen z.B. ein Netzwerkkollege Bussi-Bussi-begrüßte, hatte ich die Freude, den ganzen Tag sein Rasierwasser in meiner Nase zu haben, weil es mir an den Wangen klebte. Puh, Moschus und Sandelholz. Wer es mag… Trotzdem vermisse ich es, Menschen, die mir am Herzen liegen, an jenes zu drücken. Noch übe ich, mit meinem Blick auszudrücken, was ich empfinde. Also wenn Ihr mich hin und wieder mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck erlebt, der wie eine Mischung aus Mondkalb und Pantomime im ersten Lehrjahr erscheint, fühlt Euch bitte herzlich umarmt und geknuddelt. So bekloppt es vielleicht aussehen mag.

Freunde stellen keine blöden Fragen, Freunde verstehen

Bei allem, was hinter uns liegt, konnten wir uns auf unsere Familien und unsere Freunde verlassen. Mein Mann war, als es mir schlecht ging und ich im Koma lag, logischerweise nicht gerade frohgestimmt. Familie und Freunde waren für ihn da. Wenn er abends heim kam, konnte er immer mit ihnen sprechen. Gut, dass zwei Freunde gleich nebenan wohnen. Dort machte er sich Luft und ließ seine Wut und Hilflosigkeit raus. Da haben 4 Ohren geduldig zugehört während er ein warmes Essen und ein Glas Rotwein unter die Nase gestellt bekam. Oder unser fränkischer Freund, der beinahe täglich anrief und Sorgen und abgelassenen Dampf aufnahm. Zugegeben, Männer helfen sich bei Kummer und Sorgen anders untereinander als Frauen. So fragte unser Franke, wie er meinen Mann am besten unterstützen könne. Und nach der Antwort: „… mit Ablenkung“, war klar, dass die beiden Kumpels regelmäßig am Rechner zockten (katholisch Handarbeiten, versteht sich) oder über den Blödsinn sinnierten, den sie in ihrer Jugend verzapft haben.
Eine große Unterstützung war auch unser Ulmer Freund. Ein Arzt der besonderen Art. Nachdem mein Mann jedes Vertrauen in Mediziner verloren hatte, brauchte er eine sichere und ehrliche Quelle. Mit ihm schloss er sich fast täglich kurz, beschrieb, was mit mir gemacht wurde und welche Geräte um mich herum was auch immer taten. Und erhielt stets und prompt die beruhigende Antwort, dass alles richtig und gut ist. Egal, wie groß die Entfernung ist, solange wir an uns denken und füreinander da sind, bleiben Freundschaftsbande härter als Kruppstahl.

Auch jetzt, Monate später, bin ich froh, wenn ich verstanden werde. Wenn es mir Freunde nicht übel nehmen, dass ich geplante Treffen absage weil entweder ich mich oder er/sie sich nicht gut fühlen und mit einem Infekt laborieren. Wenn mich niemand hetzt, weil es nun mal länger dauert als erwartet, wieder auf die Füße zu kommen. Die Alte werde ich nie wieder. Doch arbeite ich daran, dass die Andere auch nicht übel wird. Nach wie vor schüttle ich jedoch den Kopf, wenn jemand auf mich zukommt und meint: „Na Petra, jetzt isses gut, jetzt biste doch wieder fit, oder?“ Wer sich für einen Anderen interessiert, hört zu. Man merkt genau, wer nicht zuhört. Solch jemand stellt derartige und ähnlich bescheuerte Fragen.

An-mich-Denker und die Sache mit den positiven Gedanken

Überrascht war ich auch über all jene, die ich (noch) nicht zu meinen Freunden zählte, weil unsere Beziehung eher freundschaftlich-geschäftlich war und die dennoch an mich dachten. Die erste Genesungskarte, die mein Mann mir bei einem Besuch in der Intensivstation vorlas, war von der Steuerkanzlei eines Kunden. Ebenso hatte mein Mann jedes Mal eine neue Notizliste in seinem Handy mit Eintragungen, wer mich alles grüßen ließ. Und die Flut an Genesungskarten nahm kein Ende.

So manch eine/r sandte mir besonders positive, gute Gedanken. Und ja, so crazy es klingt, das konnte ich spüren. Selbst meine Yoga-Leherin dachte immer wieder an mich. Obwohl wir uns weniger als ein Jahr kennen. In meiner Familie mütterlicherseits ist gezieltes positives Denken Gang und Gäbe und wurde von den Frauen von Generation zu Generation weiter gegeben. Dass meine Mutter mir gute Gedanken sandte, das war daher glasklar. Doch konnte ich für mich selbst nicht andere bitten, doch positiv an mich zu denken. Schließlich war ich ausgeknockt. Der Vorschlag mit den „Gedanken-Sendungen“ kam u.a. auch von meiner Schwägerin. Als sie eines Abends, als ich noch im Koma lag, mit meinem Mann telefonierte und er deprimiert von meinem weiterhin ungewissen Schicksal berichtete, meinte sie, alle sollten versuchen, mir gute, positive Gedankenbilder zu senden. Das klingt zwar für manch einen total abgefahren. Doch auf unserer Welt passieren oft Dinge, die sich mit Medizin und Technik allein nicht erklären lassen. Also schickt Euren Lieben hin und wieder positive Gedanken rüber, wenn sie gerade nicht bei Euch sein können. Auch wenn es Euch schwer fällt, daran zu glauben, schaden kann es zumindest nicht. Oder?

Ich bin nicht allein. Wir sind nicht allein. Wir werden stets Freunde um uns haben. Egal wie nah oder fern diese leben. Eine Tatsache, die mich fröhlich stimmt und zufrieden macht. Ich weiß nicht warum, doch mir fällt gerade ein seeeehr alter Film ein. Er ist fast 90 Jahre alt und heißt: „Die drei von der Tankstelle“. Na? Klingelt’s? „… ein Froooooind, ein guter Froooooind, das ist das Beste was es gibt auf der Weeeelt…“
Euch allen wünsche ich so gute Freunde und an-Euch-Denker, wie wir sie haben dürfen.

Eine lange Reihe an Genesungswünschen. Dieses Jahr werden wir für unsere Weihnachtskarten einen anderen Platz finden. Meine Genesungskarten werden die Kartenleine noch sehr lange besetzen.