Reha fertig? Dann kann es ja los gehen!

Reha fertig? Dann kann es ja los gehen!

5. Dezember 2019 Aus Von Petra Carlile

In Klammern: DENKSTE!

Als mich mein Mann von der Reha abholte, war ich voller Tatendrang. Daheim erwarteten mich Nordic-Working-Stöcke. Ein Geschenk meiner Eltern zu meinem zweiten Geburtstag. Für mich wurde es Regelmäßigkeit, wenigstens 3x pro Woche zu walken. Es tat mir gut. Ich bekam den Kopf frei, lernte unterwegs viele Hunderassen kennen und stellte wirklich Ähnlichkeiten der Herrchen / Frauchen zu ihren Vierbeinern fest. Doch nach dem Walken bin ich immer noch platt, dass ich froh bin, mich im Anschluss aufs Sofa zu werfen. Bäume ausreißen ging also noch nicht. Dennoch war ich mutig und vereinbarte einen neuen Workshop-Termin mit Schülern im Juli. Schließlich ist das ja keine sportliche Betätigung. Da kribbelte auch schon die Vorfreude in mir auf die Jungs und Mädels und die wirklich Freude bringenden gemeinsamen Stunden. Irgendwie musste ich meine Infektanfälligkeit doch in den Griff bekommen. Auch schon jetzt. Schließlich ist Sommer. Wer, bitteschön, ist da erkältet und steckt mich an?

Ich habe eine empfindliche Nase – geh duschen!

Schon in der Reha musste ich mich schützen vor anderer Leute Bazillen und Viren und wurde von meiner mich betreuenden Ärztin verdonnert, einen Mundschutz zu tragen, sobald ich mein Zimmer verließ. Wenn es etwas gibt, womit man sich ausgrenzen kann, dann das. So mancher machte einen großen Bogen um mich nach dem Motto „Wer weiß, was die hat…“ Glücklicherweise gingen viele meiner Mitstreiter offen auf mich zu und fragten direkt. Der Rest konnte mir Wurscht sein. Bei einem Typen habe ich den Mundschutz sogar absichtlich und bewusst gern getragen. Einer mit Rasierklingen unter den Achseln. Ein alternder möchte-gern-Sonnyboy. Ich nannte ihn Mr. Bombastic. Jedes Mal, wenn er mich sah, zwinkerte er mir auf eine widerlich aufdringliche Art zu. Wahrscheinlich nicht nur mir. Doch hätte ich auf so einen gern verzichtet. Leider hatte ich keine gescheiten Farbstifte. Mit Kuli hat das doof ausgesehen. Denn sonst hätte ich meinen Mundschutz, den ich täglich wechselte, stets mit neuem Tagesmotto geziert. „Vorsicht, Mundgeruch!“, „Ich beiße. Eigentlich ist das ein Maulkorb“, „Ich bin nicht ansteckend aber vielleicht Du?!“, „Achtung: Piranha-Zähne!“, „Ich habe eine empfindliche Nase. Geh duschen!“ Also Ideen hatte ich…

Habe mich verrechnet. Oder selbst überschätzt. Oder beides.

So mied ich auch zu Hause ab sofort öffentliche Verkehrsmittel, Menschenansammlungen und setzte einem Treffen mit anderen immer voraus: „Gerne. Wenn Du nicht erkältet bist.“
Leider half diese Vorsichtsmaßnahme nicht viel. Schon in der zweiten Juli-Woche erwischte es mich wieder. Mit Pneumokokken. Es folgte eine ewige zum-HNO-Fahrerei und, ja klar, das nächste Antibiotikum. Dabei hatte ich das letzte vor 7 Wochen zu Ende genommen. Hmpf! Die Nordic-Walking-Stöcke hing ich erst einmal an den Nagel. Insgesamt hatte ich bis heute noch weitere 3x das ‚Vergnügen‘, ein Antibiotikum zu nehmen. Jedes Mal schmiss es mich wieder zurück. Ich kam ins Schnaufen, wenn ich nur unsere kleine Kellertreppe hinauf stieg, war noch platter als vorher und mied jede Anstrengung, um die Infekte auszuheilen. Kaum fühlte ich mich besser und begann wieder mit meinem Konditionstraining, haute es mich erneut um. Es ist ein ständig neues Festlegen der Frustgrenze. Die Reichweite dorthin wurde immer kürzer und ich hin und wieder die totale Oberzicke. Meinen Mann habe ich oft gewarnt. „Bin heute echt mies drauf. Nimm Dich bloß in Acht.“

Die Suche nach der Stimme

Erneut musste ich meinen Schülern absagen. Der von mir so optimistisch vereinbarte Juli-Termin fiel ins Wasser. Nicht nur die Nebenhöhlen waren betroffen, auch die Stimme war weg. Ich suchte sie überall. Unterm Tisch, unter den Schränken, hinterm Sofa.
Ein running Gag unserer Familie. Vor Jahrzehnten einmal soll einer meiner beiden Großväter sauer gewesen sein, dass er mit seiner Frau kein Wort mehr sprach. Irgendwann wurde es meiner Oma zu blöd. Sie ging in die Stube, in der mein Opa saß und so tat, als läse er Zeitung. Oma Lotte kniete sich hin und schaute unter die Anrichte. Das gleiche Tat sie vorm Tisch und hob die Tischdecke an. Sie blickte hinters Sofa, zog Schubladen auf und wieder zu und schaute nachdenklich. Bis es meinem Großvater zu bunt wurde und er rief: „Lotte, was zum Kuckuck suchst Du man bloß?“ Freudig drehte sich Oma Lotte zu ihrem Mann um und meinte: „Na, Deine Stimme. Da isse ja wieder!“
Mir, wie gesagt, hat das nicht geholfen. Die Stimme blieb weg, das Allgemeinbefinden ließ zu wünschen übrig. Der Infekt hatte mich im Griff. Und nachdem ich bedauernd absagen musste, stellte ich mir zum ersten Mal die Frage: „Werde ich jemals wieder Workshops halten und gemeinsam mit anderen Leuten etwas machen können?“
Im August fragte die Leiterin des Career-Service der Hochschule Fresenius per E-Mail, wie es bei mir im Wintersemester ausschaut mit Zeit für Studentenworkshops. Ganz exakt für November. Ich bin drei Tage um mein Telefon herum geschlichen, bis ich den Mut hatte, sie anzurufen. Und ihr zu schildern, dass ich momentan noch keine Zusagen machen und man mit mir nicht zuverlässig planen kann.
Was mich noch mehr in Düster-Stimmung versetzte. In der ich mich suhlte. Ach, das geht richtig herrlich. Morgens schon aufstehen und sich bejammern. In den verschiedensten Melodien. Moll, versteht sich.
Glücklicherweise hat mein lieber Mann dies alles abgefangen und glücklicherweise wohnen zwei unserer Freunde direkt nebenan. Sie alle mussten ganz schön her halten, wenn ich meinen Frust abließ. Doch richteten sie mich immer wieder auf, wenn ich gerade gesenkten Hauptes ums Haus schlich. D A N K E liebe Leute!

O.k., wenn ich es gerade für mich nicht schaffe, reiße ich mich wenigstens für die anderen zusammen. Und suche nach Möglichkeiten, mich wieder in einen ‚good mood‘ zu bringen. In letzter Zeit höre ich verdammt gern die Filmmusik-Stücke der Rocky-Balboa-Filme… Hört mal rein! Die meisten sind in Dur.