REHA-Erlebnisse und „Hilf-Dir-selbst“!
Ich durfte in die Reha!!! Im Krankenhaus gibt es extra dafür Ansprechpartner, die sich des Formulargedöns annehmen und dahinter klemmen, dass eine Rehabilitationsmaßnahme möglich ist. Träger von Reha-Maßnahmen ist nicht, wie ich annahm, die Krankenversicherung sondern die gesetzliche Rentenversicherung. Als ich mich 2003 selbständig machte, trat ich aus dieser aus. Ich bezweifelte, dass eine Reha für mich deshalb finanziert würde. Doch hatte ich wieder Glück! Scheinbar habe ich vorher genug Jahre eingezahlt. Ich erzielt die Zusage und ca. 3 Wochen nach Krankenhausentlassung startete ich nach Ansbach. Vielmehr: brachte mein Mann mich in die Rangauklinik. Hart war für mich, schon wieder von meinem Mann getrennt zu sein. Doch war ich voller Tatendrang. Schließlich wollte ich so rasch wie möglich wieder mein altes Leben zurück.
Begegnungen, die in Erinnerung bleiben
Die Mahlzeiten wurden im Speisesaal eingenommen. Jeder hatte „seinen“ angestammten Platz an einem 4er oder 6er Tisch. Auch hier hatte ich Glück. Ich hatte den lustigen erwischt und tolle Mitstreiter, die schon ein paar Wochen da waren und mir in meinen ersten Tagen viele Tipps geben konnten. An meinem Tisch wurden sicherlich auch ernste Themen besprochen. Jeden beschäftigte sein Gesundheitsthema. Viele waren nicht nur nach einer Lungenentzündung hier sondern hatten z.B. Tumorerkrankungen hinter sich mit und ohne dazugehörige schwere Lungen-OP. Dennoch verging keine Mahlzeit, an dem von unserem Tisch schallendes Gelächter durch den Speisesaal hallte und sich alle nach uns umdrehten. Ich hoffe, der Lachtisch wird noch über Generationen weiter bestehen. Humor hellt die Stimmung auf. Humor unterstützt beim Heilen. Lehrreich waren auch die Lebenshaltungen meiner Mitstreiter für mich.
„Des schleschte Gewisse hab isch schon längst erschosse“
Fast täglich denke ich z.B. an Rita. Sie hatte keine Haare. Und stellte sich vor mit: „Hallo grüß Disch Petra, isch bin die Rita und komme aus Aschaffenbursch. Was mit mir los isch, brauch isch Dir ja net sare, det sieschte ja.“ Rita hatte immer ihr Häkelzeug dabei. Wann immer sie zwischen den Therapien Zeit hatte, häkelte Rita. Vor dem Schwimmbad, vor der Atemtherapie oder abends beim gemeinsamen Umtrunk. Ihr hatte ich u.a. erzählt, dass ich doch ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich den Besuch meiner Eltern nicht wollte. Oder wie schwer es ist, die Probleme anderer auszublenden und mich voll auf mich zu konzentrieren. „Weischt, Petra, des schleschte Gewisse hab isch schon längst erschosse. Sonscht wär isch gar net mehr am Läbe.“ Heißt für mich übersetzt: gesunder Egoismus ist wichtig, um selbst wieder auf die Füße zu kommen. Rita häkelte mir übrigens ein grünes Einkaufsnetz und schenkte es mir, als sie abreiste. Das Einkaufsnetz heißt Rita.
„Nein danke, ich brauche keine psychologische Betreuung“
An meinem ersten Tag wurde ich u.a. auch gefragt, ob ich während des Aufenthalts psychologische Betreuung brauche. Ich fühlte mich weder depressiv noch hatte ich Gesprächsbedarf, mit fremden Leuten über meine Situation zu reden. Außerdem hatte ich doch „nur“ eine Lungenentzündung und nicht solch schwere Themen wie viele meiner Mitpatienten. Worum mein Mann und ich uns im Hintergrund kümmern mussten, war die Kostenübernahmezusage meiner privaten Krankenversicherung. Für mich war noch vor Reha-Antritt klar, dass ich mich einer lebenslangen Immunglobulintherapie unterziehen muss, um nie wieder in solch schwere Infekte zu geraten. Eine i.V.-Infusion, die ca. 30 gr. Immunglobuline enthält und ca. alle 3-4 Wochen gegeben werden muss, kostet ca. 3.000,00 Euro. Was, wenn die Krankenversicherung das ablehnt? Was, wenn ich das selbst finanzieren muss? Wir hätten eine gewisse Zeit selbst finanzieren können. Doch irgendwann sind auch die letzten Sparreserven aufgebraucht. Während meiner Telefonate von der Reha aus mit meinem Mann und der Krankenversicherung nahm sie Gestalt an und kroch mir den Rücken rauf: die nackte EXISTENZANGST. Abends, wenn ich nach den Therapien hundemüde im Bett lag, ließ sie mich nicht schlafen. „Wie sollte ich überleben? Wieviel muss ich im Monat verdienen, damit ich es notfalls selbst finanzieren kann? Und vor allem, womit soll ich es selbst verdienen?“ Wie gerädert stand ich morgens auf und versuchte dennoch, mein Bestes zu geben bei den einzelnen Therapien. Bis zur Bearbeitung meiner Anfrage bei der Krankenversicherung zog sich die Zeit wie Kaugummi. Und so saß ich dann doch eines Tages vor der Sprechstunde einer Psychologin. Und bin sehr dankbar für unsere Gespräche und Meditationshilfen. Die Zusage zur Kostenübernahme meiner lebenslangen Immunglobulintherapie erhielt ich übrigens zwei Wochen vor Ende meiner Reha. Und wieder hat mich die Glücksfee begleitet und ich habe inzwischen einen ganzen Koffer voller Dinge, wofür ich dankbar bin.
„Hilf Dir selbst“ und wie ich zum d s a i kam
Zu unseren Therapieplänen gehörte auch die Teilnahme an Vorträgen, oftmals gehalten von den beiden Psychologen, die im Haus arbeiteten. Einer handelte davon, sich selbst wieder an den Haaren hoch zu ziehen, die Situation, in denen man sich befand, anzunehmen und zu schauen, was es bereits gibt an Unterstützung von außen. Und, na klar, die Selbsthilfegruppen waren dabei Thema. Es gibt derer viele. Am Abend hockte ich mich in meinem Zimmer an den Laptop und recherchierte nach einer Selbsthilfegruppe für meinen Immundefekt. Parallel tat dies auch mein Mann daheim und er wurde fündig. Er fand den d.s.a.i. e.V., der noch dazu in Bayern ansässig ist. Sofort nahm ich Kontakt auf und erhielt erste Informationen von einer sehr rührigen Mitarbeiterin. Unter anderem berichtete sie mir, dass sich Betroffene auch in München zu regelmäßigen Stammtischabenden zum Austausch trafen. Ich meldete mich an und war sehr gespannt. Bis dahin holte ich mir die ersten Informationen vom Internetauftritt des d.s.a.i. e.V. https://www.dsai.de/immundefekte.html
Atemtherapie und: Warum zum Kuckuck haben wir das nicht in der Schule gelernt?!
An jedem Tag, bis auf sonn- und feiertags, stand neben vielen anderen Anwendungen die Atemtherapie auf dem Plan. Nun atmen wir ja automatisch, unbewusst und ohne darüber nachzudenken. Wer krankheitsbedingt Einschränkungen der Lungenfunktion erlebt, muss dies jedoch konzentriert trainieren. Bis es vom bewussten-darauf-achten ins selbstverständlich unbewusste übergeht, tiiiiiief in den Bauch einzuatmen und durch die Lippenbremse langsam wieder auszuatmen. Diese Atemtechnik ist wichtig, um die Lungen komplett mit Sauerstoff zu füllen bis in den hintersten Winkel. Je besser belüftet, desto weniger können sich Bakterienherde breit machen. Doch nicht nur das! Mit dieser Atemtechnik können wir positiv die Sauerstoffsättigung des Blutes beeinflussen und ebenso einen erhöhten Puls normalisieren. Direkte Umsetzung erfuhren wir beim Nordic Walking, wenn die Therapeuten mit einem Pulsoximeter bei jedem die Werte ermittelten. Wieso ist das nicht Thema im Biologieunterricht???? Ein Wahnsinns-Praxisbezug! Statt stupide die Anatomie des Menschen herbeten zu können bis zur Prüfung und dann zu vergessen.
Vor allem: was hätte es mir den Sportunterricht vereinfacht, wenn ich bei den Liegestützen richtig geatmet hätte? Ich hätte mir das „Tja, Petra, 6 Stück sind leider nicht ausreichend, Note 4“ echt ersparen können!
Oder alle, die mit Prüfungsängsten konfrontiert sind und wie gelähmt sind, können diese bewusste Atemtechnik einmal probieren. Damit lassen sich Ängste allein nicht lösen. Doch hilft es, den Puls zu senken, der einem ja sonst bis zum Hals schlägt….
Auch die Information, dass die Flimmer-Härchen in den Bronchen bereits nach einer Zigarette für 8 Stunden gelähmt sind und somit keine Reinigungsarbeiten durchführen können… Mit Sicherheit hätte das den einen oder anderen aus meiner Schule davon abgehalten, Zigaretten cool zu finden.
Alles in allem war die Reha für mich ein Segen. Nordic Walking ist für mich der Ausdauersport, der mir besser liegt als krampfhaft joggen zu wollen. Ich war kräftemäßig nach vier Wochen schon besser beieinander als nach meiner Krankenhausentlassung. Dennoch entließen mich die Reha-Ärzte nach wie vor als arbeitsunfähig. Eine Tatsache, die ich immer noch nicht wahr haben wollte.